Wie wär´s mit Victor Grossman?

Wir in Reinickendorf • 06/2006

Die Anregung kam von Klaus Gloede (wie übrigens so manche andere auch). „Willst du nicht mal was mit Grossman machen“? Ich wollte. „Er arbeitet an einem Spanienbuch.“ Das fand ich interessant.

Ich wusste, wer Victor Grossman ist, und das Thema Volksfront – im weitesten Sinne – wird uns wohl noch länger beschäftigen. Wir verstanden einander sofort, nur sein Akzent machte mir gelegentlich Schwierigkeiten. Victor ist Amerikaner und man kann es noch immer hören.

Sofort ist er beim Thema. Er hat ein starkes Bedürfnis, über diese Arbeit zu sprechen. Wie er das Buch strukturiert, wen alles er zitiert, welche Begebenheiten, lagen sie auch am Rande, er nicht ausklammern will und kann, einen kurzen Aufstand in Barcelona zum Beispiel, den Orwell als das Eigentliche beschreibt, Namen fallen: Kolzow, Hemingway, Ivens, Jeanne und Kurt Stern mit ihrem Dokumentarfilm „Unbändiges Spanien“, und eben Orwell. Nichts will Grossman ignorieren, nichts verheimlichen, Kolzows Schicksal und das einiger sowjetischer Generäle nicht, die zurückgerufen, verhaftet, ermordet wurden.

Trotzdem: „Der spanische Bürgerkrieg war eines der glorreichsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts, wenn nicht das glorreichste überhaupt.“

Wir sprechen über die Volksfront, finden die Parallele zur Unidad Popular in Chile. Grossman: „Aber Spanien hat gekämpft! ... Die Arbeiter haben die Regierung gezwungen, die Republik zu verteidigen... Allende wollte nie Waffen.“ Wir erinnern uns aber auch eines DokFilms von Guzman. „Ja, da waren viele, die kämpfen wollten.“ In einer Szene fragt ein Arbeiter voller Bitternis: Traut der Präsident uns nicht? Wieder Grossman: „Dieser Film war eine Anatomie der Konterrevolution.“

Über die inneren Widersprüche der spanischen Volksfront reden wir. (Denen ja, will mir scheinen, die Widersprüche in der Linken heute recht ähnlich sind.) Grossman verweist auf die zeitliche Nähe zu den „Moskauer Prozessen“; hinter jeder Kritik witterten die Kommunistischen Parteien eine „trotzkistische Verschwörung“. Aber trotz innerer Kämpfe zwischen Anarchisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten und Kommunisten, die zweifellos schwächten, kämpften sie gemeinsam gegen den gemeinsamen Feind.

Besonders für junge Leute will Grossman das Buch machen.

Schließlich spiele ich noch auf seinen Vornamen an. Er ist amüsiert. „Ich heiße gar nicht so.“ Vorab aus seiner in deutsch noch nicht erschienenen Autobiografie: Soldat in der US-Army in Bayern, schwimmt über die Donau, meldet sich bei der Sowjetarmee. Nach Moskau will er oder nach Prag. Sie schicken ihn nach Potsdam. Seinem sowjetischen Betreuer teilt er seinen Wunsch nach neuer Identität mit, „um die Familie zu schützen“. Er soll sich einen Namen aussuchen, hat aber keine Idee. Und eines Tages fragt ihn der sowjetische Offizier: „Na, wie wär´s denn mit Victor Grossman?“

Nun bin ich neugierig auf die beiden Bücher. Sie auch?

Werner Wüste