Wird’s denn helfen, Herr Doktor?

Wir in Reinickendorf • 02/2007

2004 wurde uns eine Gesundheitsreform als „Jahrhundertreform“ beschert. Jetzt steht die Reform der Reform ins Haus. WiR sprach darüber mit dem wissenschafts- und gesundheitspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Oberarzt Dr. Wolfgang Albers

Dr. Albers, weshalb soll die Jahrhundertreform schon wieder reformiert werden?

Zwei Gründe: Die Reform hatte die Finanzierungs- und Effizienzdefizite unseres Gesundheitssystems nicht einmal ansatzweise behoben. Und das Solidarprinzip unserer Krankenversicherung passt nicht in das neoliberale Weltbild, es soll zerschlagen werden.

Wenn aber die Gesundheitskosten so schrecklich explodieren...

Das ist ein Mythos. Die Kosten machen seit den siebziger Jahren nahezu konstant den gleichen Anteil des Bruttosozialprodukts aus. Nur die Medikamente verursachen inzwischen genauso viel Kosten wie alle anderen medizinischen Leistungen zusammen.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben vor allem ein Einnahmeproblem wegen der hohen Arbeitslosigkeit, der zunehmenden Zahl prekärer Arbeitsverhälnisse und des sinkenden Anteils der Löhne und Gehälter gegenüber anderen Einkommensarten. Übrigens auch wegen der Verschiebung staatlicher Verpflichtungen auf die Krankenkassen, z.B. durch die Kürzung der Beiträge für die Krankenversicherung Arbeitsloser u.a.m. Letzteres machte 2004 immerhin 4,6 Milliarden Euro aus.

Und die Effizienzprobleme?

Wir haben in unserem Gesundheitssystem dicht nebeneinander Unter-, Über- und Fehlversorgung. Die Prävention ist deutlich unterbelichtet, stationäre und ambulante Behandlung sowie Rehabilitation sind gegeneinander abgeschottet. Wettbewerb und Markt regeln so etwas nicht, die suchen lediglich die lukrativsten Geschäftsfelder.

Ich habe nicht den Eindruck, dass etwas davon jetzt angepackt würde.

Nein. Die Krankenkassen werden lediglich in den freien Wettbewerb geschickt, bloß dass sie ab 2009 ihre Mittel aus einem gemeinsamen Fonds erhalten. Kommt eine Kasse damit nicht aus, darf sie höhere Zusatzbeiträge von ihren Versicherten verlangen, ihre Leistungen kürzen, nach den billigsten Leistungsanbietern suchen oder pleite gehen.

Was setzt die Linke dagegen?

Wir fordern eine Bürgerinnenund Bürgerversicherung. Alle sollten in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, und alle Einkommensarten sollten dazu herangezogen werden. Die Beitragsbemessungsgrenze für die hohen Einkommen sollte fallen. Der Versicherungsanteil der Unternehmen sollte wieder paritätisch und durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzt werden - wenn ein Unternehmen Mitarbeiter entlässt, um seinen Gewinn zu erhöhen, dann sollte es wenigstens mehr in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen.

Im Übrigen brauchen wir demokratische regionale Gremien einschließlich Krankenkassen und der Betroffenenvertretungen, um die Strukturen zweckmäßig zu ordnen.

Interview: Hans Schuster

Hier wird es wehtun

  • Auf die Versicherten kommen weitere Zusatzbeiträge (bis 7,2 Mrd. Euro) zu. Die Arbeitgeber werden von Kostensteigerungen ausgenommen
  • Einführung einer Kopfpauschale (beim Zusatzbeitrag)
  • „Teilkasko-Tarife“ für Junge und Gesunde, teure „Vollkasko-Tarife“ für Kranke. Durch diese unsolidarischen Wahl- und Sondertarife (Kostenerstattung, Selbstbehalt und Beitragsrückerstattung) muss das Geld für Behandlungskosten vor allem von den Kranken aufgebracht werden
  • Höhere Zuzahlungen für Krebskranke, die nicht zur entsprechenden Vorsorge gegangen sind
  • Einführung eines Selbstverschuldungsprinzips als Dammbruch: Zunächst zwar nur bei Folgekosten von Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen wird so der Weg für zukünftige Leistungsausgrenzungen (wie z.B. bei Dickleibigkeit oder Freizeitunfällen) geebnet
  • Die geplante Insolvenzfähigkeit und die geforderte Entschuldung zwingen insbesondere die AOK bis zur Einführung des Gesundheitsfonds 2009 zu hohen Steigerungen des Beitragssatzes
  • Ärzte, Pflegestationen, Physiotherapeutinnen, Apotheken oder Krankenhäuser werden die Versicherten gegebenenfalls um Vorkasse bitten, wenn sie die Insolvenz der betreffenden Krankenkasse befürchten
  • Der völlig unzureichend geplante krankheitsorientierte Risikostrukturausgleich wird die Situation derjenigen Krankenkassen weiter verschlechtern, die mehr chronisch Kranke oder mehrfach Erkrankte versichern
  • Die Einbeziehung der Privatversicherten in einen Sozialausgleich oder ein gemeinsames solidarisches Versicherungssystem bleibt wieder aus