Ausgerechnet links

Wir in Reinickendorf • 03/2007

Im Gespräch: Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Linke

Wenn Biographien Gemeinsamkeiten ans Licht bringen, wird es spannend.

Die eine ist Schülerin in Reinickendorf, geboren 1990 in Potsdam, die zuerst mit der Mutter bei Hennigsdorf wohnte, noch jung, hat das Leben vor sich. Die andere, geboren im Kriegsjahr 1941 in Wilmersdorf, inzwischen Großmutter, hat die berufliche Laufbahn beendet, und ist immer noch voll Hoffnung für eine bessere, friedlichere Welt.

Die Jüngere, Charly, hat die DDR gar nicht mehr erlebt, weiß aber viel darüber, interessiert sich für die deutsche Vergangenheit. Die Eltern der Älteren, Marion, haben diese DDR mitgebaut, teils kritisch, teils pragmatisch, haben sie aktiv mit gestaltet. Marion sah sich, trotz mancher Zweifel, behütet und gefördert. Heute bewertet sie einiges anders, bewahrt sich jedoch das Erlebte.

Die eine ist inzwischen aktiv in der Jugendgruppe, die andere Mitglied im Bezirksvorstand der Linkspartei.PDS Reinickendorf.

Anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März haben Marion und Charly von sich erzählt. Charleen Figul unterhielt sich mit Marion Lubina, Jürgen Schimrock mit Charleen (Charly).

Wie bist Du aufgewachsen und was hat Dich politisiert?

Charly: Meine Mutter wollte Opernsängerin werden, fühlt sich bis heute der deutschen Klassik verbunden. Das freie, selbstbewusste Denken hat sie von klein an gefördert – wie auch das Musische. Mein Vater war eher unpolitisch, aber der Urgroßonkel hinterließ als Kommunist eine Büste in Hennigsdorf. All das hat mich natürlich geprägt.

Marion:1943 mussten meine Mutter und ich aufgrund unseres jüdischen Glaubens Berlin verlassen und in die Illegalität gehen. Wir sind nach Linde in der Nähe von Oranienburg gegangen. Dort blieben wir, bis die Rote Armee kam. Meine Mutter wurde als Antifaschistin die erste Bürgermeisterin von diesem kleinen Ort. 1946 kam mein Vater aus dem Krieg zurück. Er war ein linker humanistischer Künstler, unangepasst.

Charly: Politisiert wurde ich durch die Erziehung und gelesen habe ich schon immer viel. Die Schule hat wenig beigetragen, vielleicht einzelne Lehrer.

Marion: Durch meine Eltern war ich eigentlich von klein an Sozialistin, damals Mitglied der SED. Ich war später im Literaturbereich des Kulturministeriums tätig.

Was machst Du derzeit?

Charly: Ich bin in der 10. Klasse der Romain-Rolland-Schule und werde ab der 11. Klasse zur jüdischen Oberschule wechseln. Ich möchte hebräisch lernen, bin aber selbst Protestantin. Studieren will ich auf jeden Fall, Germanistik oder Politik, vielleicht Journalismus. Traumjob wäre dann Chefredakteurin bei der „Zeit“ oder „Cicero“.

Marion: Ich genieße meinen beruflichen Ruhestand, inzwischen als aktive Oma. Ich verfolge die Parteineubildung, hoffe, dass meine Erfahrungen dort gebraucht werden.

Charly: Wir sind in der Jugendgruppe verschieden, die Auswahl der Themen ist schwierig. Ich tendiere zu den „einfachen“, um junge Menschen anzusprechen, mehr Mitglieder zu gewinnen. Wir machen aber schon Einiges - auch erfolgreich: Mitarbeit beim Antifaschistischen Runden Tisch im Bezirk, Infostände, politische Bildung, bringen uns beim Bezirksvorstand ein. Und man lässt uns, das ist wichtig.

Marion:Mein Schwerpunkt im Bezirksvorstand ist die Mitgliederbetreuung. Ich kümmere mich auch um die kulturelle Seite des politischen Lebens. Das gehört dazu.

Du bist Mitglied der Linkspartei? Warum ausgerechnet links?

Charly: Mein politisches Aha-Erlebnis war die Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank, aber auch Bücher über politische Frauen, z. B. Rosa Luxemburg. Mit 14 sollte ich, auf Rat meiner Mutter, zur Jungen Union, aber das passte mit dem Marx’schen „Kapital“ nicht zusammen. Ich habe mir die Programme der Parteien besorgt, meine „Tendenz“ vor der Bundestagswahl 2005 im „Wahl-O-Mat“überprüft, war im Wahlkampf an einem Stand der Jungen Linken, traf dort Mitglieder der Reinickendorfer Jugendgruppe, wurde zum nächsten Treffen eingeladen – das war’s.

Marion: Ich war nach 1990 inaktiv, hatte weder die Zeit noch Lust an der Politik. Ich war ziemlich enttäuscht und musste mich beruflich umorientieren. Erst 2001, nach dem Bankenskandal, entschloss ich mich, wieder politisch aktiv zu werden. Der Schritt zur PDS Reinickendorf war dann nur folgerichtig. Die Parteineubildung finde ich gut und richtig. Das Verhalten des Berliner Landesverbandes der WASG ist mir unverständlich. Ich hoffe, dass trotzdem zusammenwächst, was zusammengehört.