Faule Eier in Reinickendorf?

Wir in Reinickendorf • 2/2009

An den Parteivorstand der LINKEN:

 „Verständnisproblem und Frage:
Was hat ein Artikel des Juso-Mitglieds Ewers auf einer Internetseite der Linken zu suchen? Sogar mit Bild!? So etwas setzt ganz falsche Signale! Die SPD, ist aus meiner Sicht keine linke Partei! Wer Militarismus propagiert, sollte sich nicht über Ethik äußern. Generell steht der Name „Ewers“ für Parteienfilz - also VORSICHT! Bevor Die Linke richtig in Aktion tritt, hat sie schon ein faules Ei im Körbchen. Wer hat es reingelegt? In Reinickendorf scheint ideologisch einiges schief zu laufen.

Mit freundlichen Grüßen
F. P.
Berlin-Reinickendorf, den 23.01.09


Keine Scheuklappen bei der LINKEN

Für die Redaktion von WiR antwortet Jürgen Schimrock:

Sehr geehrter Herr P.,

ich beziehe mich auf Ihre Anfrage an den Parteivorstand der LINKEN „Verständnisproblem und Frage“ vom 23. Januar 2009. Ihre Frage wurde an uns weitergeleitet, da sie unmittelbar den Bezirksverband Reinickendorf betrifft und somit nur von uns beantwortet werden kann,

Ich bin im Bezirksvorstand verantwortlich für unsere Bezirkszeitung „Wir in Reinickendorf“ (WiR) und habe eine, aus Platzgründen, sehr verkürzte Antwort bereits in unserer Februar-Ausgabe auf Seite 4 gegeben. Wir veröffentlichen dort alle Leserzuschriften (wenn möglich ungekürzt), in der Regel unkommentiert, und so bin ich verwundert, dass Ihre Anfrage an den Parteivorstand adressiert war. Eine Antwort von dieser Stelle hätte sehr verwundert, da die Verantwortung für die politische und redaktionelle Arbeit satzungsgemäß in den Bezirks- bzw. Landesverbänden liegt. Grundlage ist die Programmatik der Partei DIE LINKE.

Die LINKE versteht sich als linke Partei im demokratischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland und agiert konkurrierend (nicht nur) zur SPD. Unterschiede auf der politischen Ebene gibt es viele – dies ist längst kein ausreichender Grund, nicht gemeinsame Ansichten und politische Übereinstimmungen darzustellen und dann punktuell, wie auf kommunaler Ebene parteiübergreifend üblich, zusammenzuarbeiten oder zu –agieren.

Einen ideologischen Alleinvertretungsanspruch nehmen wir aus guten Gründen nicht in Anspruch. Eine solche, von ideologischer Besserwisserei geprägte Haltung hat der politischen Linken im deutschen und erst recht im „realsozialistischen“ Kontext historisch nicht nur geschadet, sondern leider auch dazu gedient, fortschrittliche Politikansätze bis heute von interessierter Seite zu diskreditieren.

Die Redaktion von „WiR“ steht, wie die Partei, für demokratischen Dialog, Pluralismus und weltanschauliche Offenheit, solange programmatische Grundsätze nicht verletzt werden.

„Ideologische“ Auseinandersetzungen führen wir in erster Linie dort, wo sie hingehören. Dazu gehört die Debatte um „Pro Reli“ bzw. „Pro Ethik“. Dazu sind wir im, zum Teil sehr kontroversen, Dialog mit der Kirche, anderen Parteien und Organisationen.

Die SPD ist vielleicht heute in Verständnis mancher keine linke Partei mehr. Auch wir kritisieren aus unserer Sicht viele politische Entscheidungen, aber Scheuklappen haben wir dennoch nicht. Die Reinickendorfer Jusos, mit Alexander Ewers als Vorsitzendem, sitzen mit am „Runden Tisch gegen Rechts“, dort wird vertrauensvoll zusammengearbeitet, „Militarismus“ u. a. dezidiert abgelehnt – wie auch, programmatisch, von der LINKEN und der SPD insgesamt. Die Frage von Krieg und Frieden wird sicher innerhalb der LINKEN und der SPD sehr unterschiedlich beantwortet. Eine pauschale „Aburteilung“ („Wer Militarismus propagiert...“) wird dem Thema nicht gerecht; ein wenig mehr Differenziertheit muss m. E. an dieser grundlegenden Stelle verlangt werden.

Auf unsere Anfrage hin hat sich Herr Ewers zum Thema Volksbegehren geäußert und in unserer Bezirkszeitung Platz gefunden. Weder die Redaktion noch der Bezirksverband haben inhaltliche Differenzen zum Text! Diese bestehen dann natürlich, und dies eben insbesondere auf ideologischer Ebene, zur Fakten und Tatsachen verdrehenden CDU und anderen.

Ich habe mir die Mühe gemacht und, wie heute ja üblich, im Internet geforscht. Ich bin auf die mir bis dato nicht bekannte, von Ihnen betreute Website gestoßen. Sie ist sehr interessant und weist Sie als kritischen, aber auch differenzierten Menschen aus. In einem Text heißt es einführend: „Die gegenwärtigen Entwicklungen in Europa, machen eine neue Form der Vernetzung und des Informationsaustausches notwendig.“ Einverstanden – und ernst nehmen. Ich meine, dies gilt natürlich auch für die globale Entwicklung, insbesondere hinsichtlich Umweltverschmutzung und Klimawandel, Armut, Hunger, Kriegsgefahren. Die LINKE hat (mühsam) gelernt, dass sie nur ein Teil des notwendigen globalen Bündnisses gegen die Gefährdung der Lebensbedingungen von Mensch, Tier und inzwischen auch vielen Pflanzen sein kann und wird.

Auf parteipolitischer Ebene wird uns, der LINKEN jede(r) willkommen sein, der mitarbeitet, mitdiskutiert, sich gegen diese, auch von ihnen geschilderte, Entwicklung stemmt. „Faule Eier“-Diskussionen können und wollen wir uns nicht mehr leisten, denn die Zeit drängt. Unverständlich, warum Sie genau diese hier aufmachen – oder gibt es ausgerechnet in Künstlerkreisen nur eine „herrschende“ Meinung? Dies widerspräche zutiefst meiner Lebenserfahrung. Ich unterstelle, auch bei Ihnen wird auf der Suche nach „neuen Strategien“ zuerst nach Übereinstimmungen bei den unterschiedlichen Akteuren gesucht. Das Kenntlichmachen von Differenzen, Besserwisserei oder auch oft ideologische Arroganz ist in der Regel wenig zielführend.

Übrigens: Die LINKE tritt schon „in Aktion“ – und sie tut dies auch noch an anderer Stelle – und mit der SPD Reinickendorf. Die Debatte um eine möglichst ökologische und nachhaltige Nachnutzung der Flughafengeländes Tegel ab 2011 beginnt. Auch hier prallen natürlich unterschiedliche politische Interessen aufeinander. DIE LINKE Reinickendorf hat inzwischen erste Vorschläge in Richtung Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien gemacht. Diese sind auf unserer Homepage einzusehen. Am 16. März findet in unserem „Roten Laden“ ein erstes bezirkliches Forum zu diesem Thema statt. Eingeladen sind u. a. Vertreter der LINKEN, die SPD, Bündnis90/Die Grünen, BUND, NABU und andere interessierte Gruppen.

Ich würde mich freuen, auch Sie dort begrüßen zu können, damit Sie Ihre vielleicht vorhandenen Ideen einbringen (oder auch noch mehr „faule Eier“ finden?) können. Es wäre dann sicher auch möglich, und meinerseits intendiert, den Austausch von Mensch zu Mensch zu vertiefen.

Ich verbleibe, auch im Namen der WiR-Redaktion
mit unideologischem, aber freundlichem Gruß

Jürgen Schimrock


PS.: Ich teile Ihre Wertschätzung für Kurt Tucholsky – allerdings das ausgewählte Zitat „Politik verdirbt den Charakter!“ ausdrücklich nicht.

Politik, verstanden als Interessensvertretung im gesellschaftlichen Raum, findet m. E. auch ohne bewusstes Handeln des Menschen statt; sie verdirbt nicht notwendigerweise, ist zunächst unschuldig. Vielmehr schaden verdorbene Charaktere, egoistische Akteure und vor allem fehlende Demokratie im politischen Raum einer fairen, ausgleichenden Moderation. Politik und Demokratie bedingen einander – fehlt ein Element oder ist es beschädigt, ist der gesellschaftliche Fortschritt in Gefahr.