Hier auf Erden ...

Wir in Reinickendorf • 02-03/2015

Vor 70 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer ermordet -

Anlaß über Kirche, Religion und Realität nachzudenken, findet Werner Wüste

Immer stellten Menschen die Frage nach dem morgigen Tag. Sehr oft in existenzieller Not.

Und aufrichtige Theologen maßen immer wieder die „reine Lehre“ an den realen Lebensbedingungen.

(Wie übrigens auch sehr, sehr viele, besonders junge Leute spätestens in den 1960er/70er Jahren die DDR-Wirklichkeit an deren postulierten Ansprüchen.)

Ohne Zweifel: Wer heute in die Geschichte guckt, ist - manchmal! – klüger als damalige, sozusagen historische Akteure.

Jedenfalls der Möglichkeit nach.

Von Dummheit und Optimismus

Zwischen Dachziegeln und Sparren hat dieses Schriftstück Haussuchungen und Bomben überstanden: Ein Zeugnis von dem Geist, in dem man damals gehandelt und dann auch gelitten hat.

Mit diesen Worten führt Eberhard Bethge, Freund, Biograph und Herausgeber von Bonhoeffers Arbeiten, in eine von dessen Schriften ein: Nach zehn Jahren,  aus meiner Sicht Bonhoeffers ideelles Testament, um hier zunächst den Begriff politisch zu vermeiden. Das zu lesen ist Gewinn.

Der fünfte Abschnitt ist überschrieben Von derDummheit,der vorletzte Optimismus.

(Der Zweideutigkeit des Folgenden, heute, mit dem Abstand von mehr als 70 Jahren, der politischen Ereignisse eingedenk, bin ich mir durchaus bewußt.)

Ich zitiere. Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit ... Gegen Dummheit sind wir wehrlos ... Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener Defekt ist, als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen ... So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. ... Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt ... Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen ... So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen ... nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung (könnte) die Dummheit überwinden ...

Und weil ich oben den Abschnitt Optimismus bereits erwähnt hatte: Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hoch zu halten, wenn alles fehlzuschlagen scheint ... eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überläßt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt ...

Das hat Bonhoeffer geschrieben an der Wende 1942 zu 1943. Seine Verhaftung stand bevor. Er hatte  Warnungen. In Stalingrad war das Ende der 6. Armee bereits besiegelt. Ein Mann wie B. ahnte nicht nur, er durfte sich gewiß sein, daß damit auch der Anfang vom Ende der Naziherrschaft gekommen war. Und was das für ihn bedeutete. - Verhaftet wurde er im April.

Der Inhaftierte gibt dem Besucher Kraft

Harald Poelchau konnte den Bewunderten ein Dreivierteljahr lang fast täglich besuchen. Bonhoeffer sei bei ihren Gesprächen, schrieb er, ganz eindeutig der Gebende und er der Nehmende gewesen“, so Klaus Harpprecht in seiner Poelchau-Biografie. „Bonhoeffer las, was immer die Gefängnisbibliothek bot ... las Bücher, die von draußen geschickt werden konnten oder die ihm Poelchau aus seiner Bibliothek brachte ...“ 

Bis September 1944. Da verlegte die GESTAPO Bonhoeffer in die Prinz-Albrecht-Strasse, in die Zentrale, den „Gestapobunker“. Ihm hatte die Beteiligung am Attentat auf Hitler nachgewiesen werden können. Im Februar 1945 wird er in das KZ Buchenwald gebracht, am 9. April 1945 wird er in Flossenbürg „wegen Landes- und Hochverrat“ hingerichtet. Buchstäblich einen Monat vor der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands.

(Zu) späte Rehabilitierung

Erst viele Jahrzehnte später wird das Todesurteil gegen Bonhoeffer und andere Widerstandskämpfer endgültig für rechtswidrig erklärt. Das Berliner Landgericht rehabilitiert sie 1996. Studenten und Dozenten der Evangelischen Fachhochschule Hannover hatten zum 90. Geburtstag Bonhoffers einen Antrag auf Aufhebung des Urteils gestellt. (www.planet-wissen.de)

Zuvor allerdings, im April 1995 bereits, hatte Gregor Gysi aufgefordert, Dietrich Bonhoeffer zu rehabilitieren. Aber noch 1956 hatte der BGH den Standgerichtsvorsitzenden „mangels Beweisen“ freigesprochen und das 1945er Urteil gegen Bonhoeffer für rechtsgültig erklärt.  

Die Bekennende Kirche

Väterlicherseits liegt mein familiärer Ursprung in Wuppertal-Barmen. Vor einigen Jahren standen meine Frau und ich vor der Gemarker Kirche im Zentrum Barmens. Hier hatte sich im Mai 1934 die Bekennende Kirche (BK) gegründet. Einer ihrer Vorläufer, der Pfarrernotbund, war u.a. von MartinNiemöller und Dietrich Bonhoeffer gegründet, Reaktion auf die Übernahme des staatlichen Arierparagraphen, mit dem getaufte Juden als „Nichtarier“ aus der Evangelischen Kirche ausgeschlossen werden sollten.  

Bei ihrer Gründung verabschiedete die BK eine kurz so genannte Barmer Theologische Erklärung. Sie besteht aus sechs Thesen. Jede These endet mit einem Satz kategorischen Ausschlusses, jeder dieser Sätze beginnt mit der Formel Wir verwerfen ...

Hier sei aus der 4. Und der 5. These zitiert:

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche ... besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen.

Wir verwerfendie falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche ... staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden. 

Bonhoeffer tritt der Bekennenden Kirche 1935 bei.

Niemöller findet erst 1976 zu dieser schlüssig und bündig zusammengefassten Sicht:
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als die Nazis die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Will man über Bonhoeffer reden, kann man nicht nur über Bonhoeffer reden. Auch sollte man über ihn und seine Freunde und Mitstreiter nicht wie über Vergangene nachdenken.

Bonhoeffer bezeichnet eine Haltung! Und die ist nicht einmal spezifisch christliche, sie ist charakterstarke, mutige, menschliche Haltung.    

 

Emil Fuchs, bedeutender Theologe in der Bewegung der Religiösen Sozialisten, erinnert sich seiner Auseinandersetzung mit Karl Barth und schreibt:

Immer wieder ist das Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ so gefaßt und ausgelegt worden, daß man dem Kaiser geben soll, was er fordert, und Gott, was übrigbleibt. Dann aber ist es jene Haltung, die den Kaiser als die Wirklichkeit nimmt und Gott als schöne Zugabe, als eine ferne Macht, der man dann sein Zutrauen schenkt, wenn alles andere ausprobiert ist und versagt hat.

 

Ich bin ja kein Christ, auch kein Theologe.

Und schon gar nicht kann und will ich mich zum Schiedsrichter erheben, der Urteile fällt und darüber befindet, welche religiös definierte Auffassung denn die wahrhaftige sei. Aber ich will  sie ernst nehmen.

Da finde ich schon hilfreich, was Fuchs über Kaiser und Gott sagt. Und was er an anderer Stelle erläutert:

Aber wir können allerdings seine (Gottes) Gabe in ihnen (den Menschen) vor der Zerstörung schützen. Wir können darum ringen, daß Kinder in einer Welt aufwachsen, die ihnen die Aufmerksamkeit auf das erhält und nicht zerstört, was in ihnen rein und gütig und lauschend auf ein anders ist...
Und wir sehen, daß die Kinder von ungezählten sogenannten christlichen Eltern hinausgehen müssen in ein Leben, das ihnen vom ersten Tage des Arbeitslebens an ... dieses Inwendige mißhandelt, verspottet und zertritt und ihnen deutlich macht, daß es ein Hindernis zum Fortkommen ist und deshalb weggeworfen werden muß.

Eigenverantwortung und Handeln

Eberhard Bethge habe ich schon erwähnt. Ihm ist  die weit über 1000 Seiten umfassende Biografie Bonhoeffers zu danken. Er veröffentlichte auch dessen „Gesammelte Schriften“.

In einem Gespräch mit dem Ehepaar Bethge fragt Uwe Schulz: Wie kann Gott das zulassen ...

Bethge nennt solche (und ähnliche) Fragen eineAblenkung [von] der Eigenverantwortlichkeit.

Wie auch diese von ähnlichem Gewicht, an die Bethge sich erinnert, auch an die Antwort, die seine Frau gab: Wie konnte er (Bonhoeffer) sich denn als Pfarrer, als Christ, am Tötungsversuch an Hitler beteiligen?  - Die Frage gehört eigentlich umgekehrt: Wie konnte er sich nicht beteiligen?

Und Eberhard Bethge fügt hinzu: Es ist nicht Bonhoeffer, der sich rechtfertigen muss für seine Beteiligung an einem Töten, sondern es sind die anderen, die sich nicht beteiligt haben.

 

Das Thema Eigenverantwortlichkeit! Kampf um das Schöne bereits im „irdischen“ Leben oder bequemer Verweis auf jenseitige Seligkeit?  

Für mich stellt sich heraus: Der Kampf findet statt zwischen Realität und Hoffnung, zwischen Tun und Beten, zwischen einer, wenn man so will, politisch aktiven und politisch verstandenen Religiosität einerseits und der auf das Jenseits verweisenden Kirche.

 

Zu prominenter Zeugenschaft rufe ich auf:

Jesus Christus: Ihr könnt nicht beiden dienen,Gott und dem Mammon! Die Geldwechsler vertrieb er aus dem Tempel.

Galileo Galilei: Und sie bewegt sich doch!

Thomas Müntzer: Jesus wurde in einem Viehstall geboren, er steht auf Seiten der Armen und Unterdrückten.

Johann Wolfgang Goethe: Am Anfang war die Tat.

Heinrich Heine wollte den Himmel den Engeln überlassen -  und den Spatzen; aber das Himmelreich  hier auf Erden errichten.

Karl Marx:Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.

Papst Franziskus mahnte im Bundestag: Die Politik muß Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen; und vermittelte zwischen Castro und Obama. 

 

Volkstümlich verkürzt und zusammengefasst:

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!

So könnte die freundliche Auflösung des Gegensatzes von Vision und Tun klingen.