100 Jahre Jugendtreffen in Stolpe / 200. Marx-Geburtstag

Treffen, Spaziergang und Ehrung am Stolper Stein

An einem schönen Frühlingstag, dem 200. Geburtstag von Karl Marx, wanderten etwa 40 Personen zum Gedenkstein im Stolper Wald und die pflegten Erinnerung an den 5. Mai vor 100 Jahren. Dazu luden der Geschichtskreis und die Gruppe „Brot und Salz“ im Hohen Neuendorfer Kulturkreis ein. Mit dabei war auch der Förderverein der Clara-Zetkin-Gedenkstätte Birkenwerder. Zu den Teilnehmer*innen gehörten auch ein knappes Dutzend Mitglieder der LINKEN Reinickendorf. Der Besuch am Stolper Stein ist für DIE LINKE Reinickendorf gute Tradition.

Treffpunkt war um 11 Uhr vor der Kirche in Stolpe. Unterwegs und am Gedenkstein gab es interessante Dinge zu erzählen: vom Treffen am 5. Mai 1918, für das der Gedenkstein gesetzt wurde, und über einiges andere, das den Namen von Karl Marx mit Stolpe verbindet.
Es wurde bei der Gelegenheit auch überlegt, was man tun kann, damit diese Stelle im Wald besser zu finden ist.

Im Anschluss gab es im Landgasthof am Reiterhof Stolpe ein gemeinsames Mittagessen.

Wir dokumentieren hier Texte des Geschichtskreises im Hohen Neuendorfer Kulturkreis:

Zur Geschichte des Ortes

Vor 100 Jahren trafen sich im Wald bei Stolpe Berliner Jugendliche, um gegen den Krieg zu protestieren, der damals schon fast vier Jahre tobte, viele Menschenleben kostete und zu Not und Elend führte. Das Datum war nicht zufällig gewählt: Es war der 5. Mai, der 100. Geburtstag von Karl Marx, und es war ein Sonntag. Dass auch der Ort nicht allein durch den Zufall bestimmt war, ist sehr wahrscheinlich. Denn das Treffen musste ja vorbereitet werden, möglichst geheim, und dabei spielte Ortskenntnis eine Rolle. Stolpe war ein beliebtes Ausflugsziel, mit der Bahn war die gleichnamige Station von Berlin aus gut zu erreichen, und von dort reichte eine knappe halbe Stunde, um in den Ort und den nahen Wald zu spazieren. Im sonntäglichen Massenverkehr fielen zusätzliche Passanten weniger auf.

Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass für die Sozialdemokraten Hohen Neuendorfs und seiner Nachbarorte Stolpe mit bestimmten Ereignissen verknüpft war. Stolpe war Ort für Versammlungen auch des Bereichs Waidmannslust der Sozialdemokratie. Am 22. September 1906 hatte im Stolper Nussbaumweg ein Gendarm den Hohen Neuendorfer Sozialdemokraten und Radsportler Adolf Herrmann nach einem Zahlabend mit seiner Dienstwaffe angeschossen und tödlich verletzt. Die Proteste und die Auseinandersetzung um die Bestrafung des Täters zogen sich über mehrere Jahre hin. In Stolpe gab es mehrfach Gedenk-Kundgebungen, so am 23. September 1909 mit 5000 und am 25. September 1910 mit rund 10000 Teilnehmern, unterstützt durch den SPD-Reichstagsabgeordneten Arthur Stadthagen, der Gedenkreden hielt.

War Marx jemals in Stolpe?

Konnte seine Frau Jenny den dortigen Dorfkrug erben?

So absurd, wie sie auf den ersten Blick scheinen, sind diese Fragen gar nicht. Es kommen Verbindungen ins Spiel, die auf den ersten (und vielleicht auch auf den zweiten) Blick nicht sichtbar sind. Und wenn man diesen Verbindungen nur etwas nachgeht, findet man Zusammenhänge, die über eine Beantwortung dieser Fragen weit hinausgehen.

Der Schlüssel liegt bei dem Adelsgeschlecht der Veltheims, das in Norddeutschland weit verbreitetet war und über erheblichen Besitz an Gütern und Schlössern verfügte, so auch in Stolpe und Schönfließ. Ludwig von Westphalen, Regierungsrat in Trier, war in erster Ehe mit Elisabeth (Lisette) von Veltheim verheiratet. Aus seiner zweiten Ehe stammen Jenny, später die Frau von Karl Marx, und Edgar, schon im Trierer Gymnasium Karls Klassenkamerad. Nach 1837 waren sie in Berlin Kommilitonen. Dort studierten auch Graf Hans von Veltheim und der mit Edgar befreundete Werner von Veltheim, ein Neffe von Ludwigs erster Frau Elisabeth. In dieser Zeit besuchten sie gemeinsam Werners Onkel Carl Achaz von Veltheim in Schönfließ, Ob sie dabei auch auf das benachbarte Veltheimsche Gut in Stolpe kamen, ist nicht bekannt. Das ist die mögliche Antwort auf die erste Frage.

Aber dieser Ausflug deutet auf eine nähere Bekanntschaft, auf Gemeinsames von Karl Marx und Werner von Veltheim, und das hat nicht nur mit den Familienbeziehungen, sondern auch mit ihren weltanschaulichen und politischen Auffassungen zu tun. Werner bezeichnete Marx später als einen „Universitätsbekannten“, in einer Veröffentlichung erscheint er als „Marxscher Studienfreund“. (Herbert Peters: Die politische Tätigkeit des Marxschen Studienfreundes Werner von Veltheim)

In seiner Berliner Studentenzeit (1837 bis 1841) wurde Karl Marx zu einem der führenden Köpfe der Berliner Linkshegelianer, die auf der Grundlage ihrer philosophischen Anschauungen auf gesellschaftliche Veränderungen drängten. Sie kritisierten Probleme wie massenhafte Armut, staatliche Zensur, fehlende politische Partizipation der breiten Bevölkerungsmehrheit und Diskriminierung von Menschen, die sich nicht zum christlichen Glauben bekannten. Karl Marx entwickelte sich in dieser Zeit zum radikalen Demokraten. Besonders Edgar von Westphalen teilte seine Ansichten und beteiligte sich hauptsächlich in den 1840er Jahren an politischen Aktivitäten.

Aber auch Werner von Veltheim stand diesen Anschauungen nahe und wurde politisch tätig. 1844 schloss er sich der Oppositionsbewegung in der preußischen Provinz Sachsen mit ihren Forderungen nach Presse- und Lehrfreiheit und einer demokratischen Kirchenverfassung an, veranstaltete erfolgreich Volksversammlungen mit erheblicher Teilnahme von Arbeitern und Bauern und kandidierte im Kreis Delitzsch/Bitterfeld für die Frankfurter Nationalversammlung. Er hatte (etwas später) wesentlichen Anteil an der Entstehung demokratischer Vereine in Brehna und Bitterfeld.

Karl Marx, der offensichtlich Informationen von dieser praktischen politischen Tätigkeit hatte, versuchte ihn in einem Brief vom 29. September 1847 für die Gründung einer Zeitschrift zu gewinnen – als Geldgeber, aber auch in der Hoffnung, in ihm einen Gesprächspartner aus dem religiös-oppositionellen Lager zu finden, dem er seine neuen wissenschaftlichen Einsichten zur Beherzigung und weiteren Verbreitung, übermitteln konnte.

Im Verlauf der Revolution zerschlug sich diese Hoffnung am Widerspruch zwischen Veltheims religiös geprägtem Fortschrittsglauben und seinen feudalen Vorurteilen, die mit der Niederlage wieder zunahmen. Trotzdem unterstützte er 1851 Familie Marx mit einem namhaften Geldbetrag.  Sein Tod im Jahre 1855 hat Jenny und Karl Marx tief betrübt.

Soviel zu dem möglichen, aber unwahrscheinlichen Besuch in Stolpe und seinen Hintergründen. Aber wie steht es mit der zweiten Frage, hätte Jenny Marx wirklich den Stolper Dorfkrug erben können?

1955 wurde in Akten des Rates der Gemeinde Schönfließ eine Verzichtserklärung auf den Erbkrug zu Stolpe von Jenny Marx geb. von Westphalen mit Bestätigung ihres Ehemannes Karl Marx aus dem Jahre 1862 gefunden. In diese Angelegenheit war Jenny Marx verwickelt, nachdem ein Bruder ihres Vaters kinderlos gestorben war und eine nicht korrekte Grundbucheintragung der Familie von Veltheim  geklärt werden musste.

Mehr dazu kann man nachlesen in den „Hohen Neuendorfer Heften“, Ausgabe 7.
Zu beziehen ist dies über den Kulturkreis Hohen Neuendorf www.kulturkreis-hn.de