Kitas und Schulen sind keine Großbaustellen

Wir in Reinickendorf • 11/2004

Renate Herranen zum Kita-Chaos in Berlin

Die GEW, die Landeselternausschüsse für Kitas und Schulen halten die Reformen im Bildungswesen - Stichworte: Einrichtung von Ganztagsschulen, Hortverlagerung  an die Schulen, Übertragung von kommunalen Kitas an Freie Träger - für notwendig. Wie denkst Du darüber?

Das ist richtig. Das Problem ist nur, dass Sparpolitik und marktorientierte Steuerung die gesellschaftlichen Aufgaben der Bildung verdrängen. Dabei müssen auch die "Nebenwirkungen" der Bildungspolitik der rot-roten Regierung in Berlin auf den Prüfstand. Zwar werden PDS wie  SPD nicht müde zu wiederholen, diese Reformen hätten nichts mit Haushaltskonsolidierung zu tun; aber wer soll das glauben? Da werden Vorklassen durch einige Stunden Sprachförderung ersetzt; da werden 5½ jährige mit der gleich hohen SchülerInnenzahl eingeschult; da werden Förderklassen abgeschafft; da werden Ganztagsschulen eröffnet ohne die erforderlichen Rahmenbedingungen, Horte im „Hau-Ruck"-Verfahren an die Schulen verlegt, Kitas geschlossen und bewährte gewachsene Strukturen zerstört. Kitas und Schulen sind nun mal keine "Großbaustellen", wie Senator Böger (SPD) die Reformen bezeichnet.

Was bringt die Eltern, Erzieher, Kinder so auf die Palme?

Dass sie in diesen wichtigen Prozess nicht einbezogen und in Unsicherheit gelassen werden.

Ab 1.11.2004 müssen die Eltern die Schulanfänger des kommenden Schuljahres und erstmals auch den Bedarf für ein Hortangebot an den Grundschulen anmelden. Das von der Senatsbildungsverwaltung vorgesehene Anmeldeverfahren entbehrt nach Auffasung der GEW jeder Rechtsgrundlage. Die Eltern müssen auf dem Anmeldeformular ankreuzen, welches „Betreuungsmodul" sie wünschen. Es gibt Früh-, Nachmittags-, Spät- und Ferienbetreuung. Dabei steht noch gar nicht fest, wie die Module aussehen und wie sie miteinander verknüpft sein werden. Den Eltern kann im Moment nicht gesagt werden, welches Modul wieviel kostet. Dazu ist eine Änderung des Kitakostenbeteiligungsgesetzes erforderlich. Es gibt keine gesetzliche Grundlage für die Ausgestaltung von Hortangeboten nach Modulen. Nach wie vor gelten die Regelungen des Kita-Gesetzes, die einheitliche Angebote (inklusive Ferienbetreuung) vorsehen.

Ich habe deshalb in einer Großen Anfrage für die November-Tagung der BVV nachgefragt, wie das Bezirksamt diesen Prozess in Reinickendorf steuert.

Und wie läuft es in Reinickendorf?

Auch wenn es jetzt einigen weh tut: in Reinickendorf wird im Gegensatz zu anderen Bezirken noch gut gearbeitet. Die Idee, Schülerinnen und Schülern keine Doppelnutzung der Klassenräume zuzumuten und „Horthäuser“ einzurichten, ist eine sehr gute; und es gibt wenige Bezirke in Berlin, die so handeln.

Ich habe mit Eltern der Kita am Senftenberger Ring gesprochen. Deren Einbeziehung zu den Kitaschließungen kann nicht gut gelaufen sein, sonst würden sie nicht so auf die „Barrikaden“ gehen; deshalb auch mein Antrag in der BVV im Oktober. Herr Senftleben bestätigte, dass er die Eltern nicht überzeugen konnte, und das ist bedauerlich. Oft werden Entscheidungen- ohne sich mit den Betroffenen vorher zu beraten- gefasst und ihnen dann als alternativlos vorgesetzt. So entsteht kein Vertrauen, sondern überflüssiger Frust.

Worum es geht

Die Kindertagesstätte Senftenberger Ring 53-69 ist seit dem 26.01.1976 in Betrieb. Sie ist die größte Sprachheilkita in Reinickendorf, betreut 32 Integrationskinder aus dem ganzen Bezirk durch ausgebildete Stützpädagogen, eine Logopädin sowie zwei Sprachheillehrer. Die Kita arbeitet mit freien Trägern wie “Horizonte e.V." und "Kubus e.V." zusammen, die u.a. Zirkuspädagogik und Familienberatung anbieten.

Die Kita soll zum 1.8.2005 in einen gemeinsamen Hort der Chamisso- und der Lauterbach-Grundschule umgewandelt werden. Die Kita-Kinder sollen mit ihren Erzieherinnen in die Nachbarkita am Senftenberger Ring 99 umziehen. Die Eltern befürchten größere Belastungen für die Kinder in der Umbauphase und ein Wegbrechen der bewährten Projekte.

Mit einem Dringlichkeitsantrag ersuchte Renate Herranen das Bezirksamt, seine Entscheidung zur Schließung der Kita hinsichtlich der Interessen und Bedürfnisse der Kinder und Eltern noch einmal zu überdenken und mit allen Beteiligten eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Jugendstadtrat Senftleben begründete die Entscheidung mit den bis zu 50% rückläufigen Kinderzahlen in beiden Kitas im kommenden Jahr, was einen Weiterbetrieb wirtschaftlich nicht erlaube. Die Leistungsangebote könnten am neuen Standort fortgesetzt werden. Die BVV-Fraktionen folgten dieser Logik.