Milieuschutzgebiet in Reinickendorf-Ost zügig ausweiten!
Beschluss der BVV
Sachverhalt:
Die vor mehreren Jahren vom Bezirksamt beauftragten und durchgeführten Untersuchungen im Vorfeld der Verabschiedung einer sozialen Erhaltungssatzung für Reinickendorf-Ost durch die BVV und das BA haben bereits seinerzeit empirisch aufgezeigt, dass für die genannten Gebiete großer Verdrängungsdruck und großes Verdrängungspotential besteht. Seitdem kam es in Folge der Schließung des Flughafens Tegel zu einer weiteren regionalen „Aufwertung“ u.a. in diesen Gebieten und sind die Mieten generell in ganz Berlin dramatisch weiter angestiegen, was aus diversen, dem Bezirksamt und auch öffentlich zur Verfügung stehendem Datenmaterial hervorgeht und als unstrittig gelten darf. Gegenwärtig erleben wir eine Zeit multipler Krisen von Corona bis zu den Folgen des Ukraine-Kriegs mit einer in der Geschichte der Bundesrepublik sehr hohen Inflation in Deutschland, die die finanziellen Spielräume vieler Mieterinnen und Mieter bis weit in den Mittelstand weiter einengt. Vor diesem Hintergrund besteht akuter politischer Handlungsbedarf das Milieuschutzgebiet in Reinickendorf-Ost auszuweiten, um die Mieterinnen und Mieter vor Ort vor Verdrängung zu schützen und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten und dabei auf erneute langwierige, externe Untersuchungen zu verzichten, was rechtlich möglich ist und wofür es Präzedenzfälle in Berlin gibt (z.B. wurde das Gebiet „Rathausblock“ auf der Grundlage einer eigenständigen Untersuchung von potentiellen Ergänzungsbereichen 2018 zu einem Bestandteil des sozialen Erhaltungsgebietes Hornstraße).
Der § 172 Baugesetzbuch enthält keine Verpflichtung, vor dem Erlass einer sozialen Erhaltungssatzung eine externe Untersuchung durchzuführen und erst recht nicht, wenn es – wie hier – um die Ausweitung eines bestehenden Milieuschutzgebietes geht. Die Stadt München etwa verzichtet gänzlich auf externe Untersuchungen und greift stattdessen zur Begründung auf in der Verwaltung vorhandenes Datenmaterial zurück. Auch wenn dies nicht der üblichen Verwaltungspraxis in Berlin entsprechen mag, ist es rechtlich möglich, dass das Bezirksamt Reinickendorf zeitnah die politische Entscheidung trifft, das bestehende Milieuschutzgebiet in Reinickendorf-Ost auf der Grundlage des vorhandenen Datenmaterials und ohne die Beauftragung zusätzlicher, externer Untersuchungen auszuweiten, um die Mieterinnen und Mieter im Umfeld des Letteplatzes jetzt und nicht erst in einigen Jahren zu schützen, nachdem viele bereits verdrängt worden sind. Gemäß der Rechtsprechung in Deutschland soll auch bei einem eingerichteten Milieuschutzgebiet regelmäßig überprüft werden, ob die Voraussetzungen noch bestehen, wobei es dem Auftraggeber freigestellt ist, auf welche Faktenbasis er sich stützt. Denkbar wäre also auch, zeitnah eine solche Folgeuntersuchung des Bezirksamts durchzuführen und das Untersuchungsgebiet dabei größer zu fassen, um das bereits bestehende Milieuschutzgebiet dann auf dieser Grundlage auszuweiten.
Beschlussvorschlag:
Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:
Das Bezirksamt wird ersucht, das bestehende Milieuschutzgebiet in Reinickendorf-Ost ohne jahrelange, rechtlich nicht zwingend notwendige, zusätzliche externe Untersuchungen um den Hausotterplatz, das Breitkopfbecken, die Weiße Stadt, den Schäfersee und alle Gebiete rund um die Residenzstraße auszuweiten.
Annahme
Abstimmungsergebnis: dafür: CDU/SPD/B90/Grüne/AfD/Lederle/Mirzo dagegen: Jahn/Otto Enthaltung: 0
Rede von Felix Lederle vor der Beschlussfassung
Der vorliegende Antrag der LINKEN wurde im Ausschuss nach ausführlicher Debatte mit breiter Mehrheit beschlossen. Diese heutige Rederunde in der BVV wurde von der FDP erzwungen, die offenbar nochmal deutlich machen will, dass sie Mieterschutz für unnötig hält, auch wenn das allgemein bekannt ist und niemand einen Zweifel daran hat.
Milieuschutz ist kein sonderlich scharfes, aber das schärfste Schwert und wichtigste Instrument auf kommunaler Ebene für Mieterschutz. Noch heute bin ich dem damaligen CDU-Bürgermeister Frank Balzer dankbar für die gute Kooperation im Rahmen des Prozesses zur Einrichtung der ersten beiden Milieuschutzgebiete im Bezirk durch die von der BVV beschlossenen sozialen Erhaltungssatzungen in der letzten Legislaturperiode. Bereits damals habe ich zu bedenken gegeben, dass dieses Milieuschutzgebiet zu knapp bemessen ist und somit die Gefahr besteht, dass alleine schon dadurch der Verdrängungsdruck in angrenzenden Quartieren weiter zunehmen wird. Leider gab es seinerzeit keine Mehrheit für eine großzügigere Zuweisung des Milieuschutzgebietes.
Wenig überraschend habe ich zu Beginn dieser Legislaturperiode einen Antrag eingebracht, das Milieuschutzgebiet in Reinickendorf-Ost zu vergrößern. Mit Blick auf die exorbitante Teuerung und den Reallohnverlust breiter Bevölkerungsschichten in diesem Land und des sich auch dadurch ergebenden großen politischen Handlungsdrucks habe ich hierfür zunächst ein rechtlich mögliches, aber nicht dem in Berlin gängigen Verwaltungshandeln entsprechendes beschleunigtes Verfahren vorgeschlagen. Die CDU Reinickendorf, die im Gegensatz zur FDP und AfD Reinickendorf traditionell ein pragmatisches und undogmatisches Verhältnis zum politischen Steuerungsinstrument des Milieuschutzes hat und sich dem Mieterschutz nicht verschließt, war bereit, diesen unorthodoxen Weg mitzugehen. Das respektiere ich sehr!
Um aber hier in dieser BVV zu einer breiten Mehrheit zu kommen, nachdem sich SPD und Bündnis 90/ Die Grünen nicht mehr in der babylonischen Gefangenschaft einer Zählgemeinschaft mit der FDP befinden, während derer ja jeder Form von Milieuschutz bereits im Zählgemeinschaftspapier eine generelle Absage erteilt wurde, habe ich den Antrag mit der hier zur Abstimmung stehenden geänderten Fassung abgeschwächt bzw. bin ich zum gängigen, wenngleich langwierigeren Verfahren mit externen anstelle von internen Untersuchungen zurückgekehrt. Ich freue mich sehr, dass wir heute mit Zustimmung der Fraktionen von CDU, SPD und Grünen einen Schritt vorankommen auf der Strecke des Mieterschutzes in Reinickendorf-Ost.
