In Tegel ein Zeichen setzen

Wir in Reinickendorf • 10/2008

Nachnutzung Flughafen Tegel“ hat Kontur bekommen

„Flugverkehr gehört nicht in die Stadt“. Die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung, Frau Junge-Reyer, brachte es gleich zu Beginn der 1. Standortkonferenz „Zukunftsraum TXL“ zur Nachnutzug des Flughafengeländes Tegel am 1. Oktober noch einmal auf den Punkt, verdeutlichte noch einmal das schwerwiegendste und entscheidende Argument für die Beendigung des Flugbetriebes in Tegel.

Es gilt nun, den Blick nach vorn zu richten, eine Zukunft ohne Fluglärm, Absturzängsten und Gesundheitsrisiken für die Anwohner ins Auge zu fassen – eine Zukunft, die Chancen bietet. Chancen für die Menschen, die Anwohner, für Unternehmer, für Macher, für alle, die bereit sind, neue Wege zu gehen, visionär zu denken und dann auch so zu handeln. Chancen für die Stadt, für Berlin.

Denken Forschen, Experimentieren

Visionäre Schaffenskraft, gepaart mit notwendigem Verantwortungsbewusstsein für das Ganze verkörperte der geladene Architekt des Flughafens Tegel, Prof. Dr. Meinhard von Gerkan. Er war es, der sich die entscheidenden Fragen stellte, die vor aller Planung, vor aller Ideensammlung beantwortet werden müssen. Welche Aufgaben, welche Anforderungen liegen vor uns? Was muss und kann getan werden, um dem längst begonnenen Klimawandel zu begegnen? Welche Wege stehen offen, um Visionen und Innovation Platz und Raum zu geben, die Zukunftsherausforderungen, die an die gesamte Menschheit gestellt werden, zu meistern?

Eine Antwort liest sich schon fast selbstverständlich: Niemand darf davon ausgehen, dass Mensch so weitermachen kann wie bisher. „Städte spielen die Hauptrolle bei der Klimaveränderung, sind dabei selbst Hauptbetroffene“. Ein Umdenken muss hier und heute stattfinden. Jeder Einzelne ist verantwortlich.

Für den Architekten von Gerkan heißt dies, Städtebau darf nur noch nachhaltig geplant werden, Bautechniken und -methoden müssen revolutioniert, neue Baustoffe entwickelt werden. Gebäude dürften nicht mehr Energie verbrauchen, sondern sind so zu konzipieren, dass sie selbst Energie erzeugen (EnergiePlus-Gebäude). Durch Nutzung von Solar-, der Windenergie und Biomasse könne ca. 50 Prozent an Energieverbrauch vermieden werden.

Sein Vorschlag für die Nachnutzung des Fluggeländes in Tegel und insbesondere des Terminals wird diesem Anspruch gerecht. Seine Forderungen, die Grundlage jeder Planung sein müssten: Kein Abriss des Terminals, weitgehender Erhalt der ursprünglichen Bebauung, die ursprüngliche Kernplanung zur Grundlage für das Neue nehmen, keine „Teilnutzung drittklassiger Art“, kein Messe- und Kongresszentrum, kein Konsumtempel.

Stattdessen solle Berlin „ein Zeichen setzen“. Ausgehend vom Hauptgebäude, dem heutigen Terminal, könnte ein „Aktions- und Forschungszentrum Solarenergie“ entstehen, ein Begegnungs- und Veranstaltungszentrum mit vielfältigen Synergieeffekten. Berlin könnte mit diesem Projekt zum „Mekka urbaner Nachhaltigkeit“ werden, das Planer, Entwickler, Forscher, Wissenschaftler anziehen soll und wird. Er würde das Projekt als „Sustainable City Berlin Tegel“ bezeichnen.

Wohl eine richtige Antwort auf die drängendsten Fragen unserer Zeit. Welche technischen Möglichkeiten schafft sich die Menschheit, den noch immer wachsenden Energiebedarf zu befriedigen, ohne dass die Klimaveränderungen unsere Existenz gefährden? Welche Möglichkeiten der Energieeffizienz und -einsparungen lassen sich kurz- und mittelfristig erschließen? Unausgesprochen bleibt die These, dass die gegenwärtig noch vorherrschende Weltwirtschaftsordnung, die sich in erster Linie der Kapitalmaximierung unterordnet, den gewaltigen Aufgaben nicht gerecht wird. Es gilt neues Denken zuzulassen, neue Wege zu gehen, neue Räume zu schaffen, mehr mit- als gegeneinander zu forschen und zu lernen – eine Art der Zusammenarbeit zu kreieren, die man begrifflich vielleicht als „Kooperative Konkurrenz“ am besten fassen kann.

Prof. von Gerkan konnte, dem Zeitplan geschuldet, seine Ausführungen leider nicht vollständig zu Ende bringen. Aber deutlich wurde, er meint eine Denkfabrik, ein Denklabor mit Räumen im heutigen Terminal, die konzipiert sind für Neues, für gegenseitige geistige Befruchtung, die Platz haben für Experimentelles, die einladen dazuzustoßen, die spannend sind. Er meint Räume, die geschaffen werden, um der menschlichen Kreativität die notwendigen Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen, die zur Lösung der größten gegenwärtigen Herausforderung beitragen können. Hier sollen alle zusammenkommen, die willens und in der Lage sind, neue Synergien zu schaffen und zu nutzen.

Den umgebauten und den offenen Raum sollten, Prof. von Gerkan zufolge, die Eigentümer, das Land Berlin, der Bund (ggf. noch andere), vorerst kostenfrei zur Verfügung stellen. Unverzüglich angesprochen werden könnten schon Tätige, wirtschaftlich erfolgreiche Firmen, aber auch kleinere kreative experimentelle Projekte, die sich den Fragen der ökologischen Energiegewinnung, -nutzung und –einsparung verschrieben haben. Entsprechende Vorarbeiten wären keine Frage von Jahren, sondern, wenn der politische Wille da wäre, von Wochen oder Monaten. Man könne sofort beginnen.

Die Richtung stimmt

Natürlich gibt es andere, m. E. nur scheinbar konkurrierende Überlegungen zur Nachnutzung des Fluggeländes. Einige beinhaltet bereits das seitens der Senatsverwaltung erstellte „Planwerk West“. Prof. Braum von der Bundesstiftung Baukultur sprach von einer „Bühne der Möglichkeitsräume“, von „gartenbezogenem Wohnen“, Frau Junge-Reyer von Sportflächen, Weltausstellung, „großen Ereignissen“. Welche ergänzenden Möglichkeiten sich aus dem Tegeler Denklabor im Praktischen ergeben, lässt viel Phantasie zu. Natürlich sind sie vorstellbar, der EnergiePlus-Vergnügungspark, ökologische Bauprojekte, technische Versuchsszenarien, Erfahrungs- Versuchslabore für Kinder, Schüler, Studenten, Wissensbedürftige, und, und, und – learning by doing.

Viel „Wasser in den Wein gegossen“, wie von Moderator Thies Schröder vielleicht von Publikumsseite erwartet, wurde nicht. Im Gegenteil, viel beifällige Zustimmung kam von den Zuhörern. Prof. von Gerkan hatte wohl den Nerv der Zeit getroffen und eine kontroverse Diskussion damit nicht notwendig gemacht, eine weiterführende aber eröffnet.

Nur die „üblichen Verdächtigen“ äußerten (natürlich) Bedenken und Skepsis, ließen frühzeitig ihre teilweise einseitige Schwerpunktsetzungen erkennen. Der Berliner IHK-Präsident, Dr. Schweitzer, benannte die Themen Wertschöpfung, Verkehrsanbindung, Eigentumsfragen und Arbeitsplätze. Im schwebte schon ein „Solar-Valley“, ein Berliner Cluster vor. Sein Hinweis auf frühzeitige Einbeziehung von großen Konzernen (z. B. Daimler und Siemens) war hoffentlich nicht ernst gemeint angesichts der Tatsache, dass besonders Daimler die Weiterentwicklung auf dem Sektor der Energieeinsparung weitgehend verschlafen hat. Prof. Fiedler von der Hertie School of Governance, der Elite-Hochschule im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, sieht die Bildung eines Clusters als schwierig an, weil „normalerweise“ dort „auf etwas aufgebaut“ würde, „nur Talente und gute Absichten“ vielleicht nicht ausreichen. Ergänzend klärte er auf, dass ein „Silicon-Valley“ ohne massive finanzielle Unterstützung durch den US-amerikanischen militärischen Komplex nicht denkbar wäre. Herr Heide (CDU), Vorsitzender des Bauausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, warf aus dem Publikum die Frage der wegfallenden, mit dem Flughafenbetrieb zusammenhängenden Arbeitsplätze (ca. 8000), in die Diskussion. Inhaltlich weiterführend war dies nicht, wohl aber der nicht-geladenen Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Wanjura (CDU) geschuldet, die ihrerseits schon die Idee eines Wissenschaftszentrums auf dem Fluggelände in den Ring geworfen hatte. Letztlich konnte sich doch niemand der Faszination der von Gerkanschen Vision entziehen - auch mangels eigener Ideen und Vorschläge.

So wurde aus der abschließenden Podiumsrunde an die Politik, in Person der Stadtentwicklungssenatorin, die Erwartung geäußert, keine Zeit zu vergeuden und den avisierten Ideenwettbewerb in einen produktiven Prozess münden zu lassen. Deren Abschlussbeitrag lässt dann auch hoffen, wurde doch deutlich, dass die Richtung stimmt. Es gälte, geeignete, interessierte und kompetente Partner zu suchen und zu finden, das regionale und wissenschaftliche Umwelt einzubeziehen, einen „politischen Aufruf“ zu entwickeln, „Bilder entstehen“ zu lassen. Daran wird sie sich zukünftig messen lassen müssen.

Zur Abrundung wurde von Reiner Nagel, dem Verantwortlichen seitens der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, ein Zeitrahmen in Zusammenhang mit einem Entwicklungskonzept vorgestellt, das ca. drei bis vier Monate vor der Schließung des Flughafens beendet sein wird. Grundstein für alle Planung wird auf jeden Fall das Terminal sein, das als PlusEnergie-Gebäude zukunftsweisend gestaltet und dann Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung des Geländes werden soll.

Man darf gespannt sein.

DIE LINKE Reinickendorf wird die von Prof. Dr. von Gerkan entwickelten Vorschläge aktiv unterstützen. Wir werden unsere politischen Einflussmöglichkeiten auf BVV- und Landesebene nutzen, den Nachnutzungsprozess Flughafen Tegel voranzutreiben. Wir halten die Überlegungen im Sinne einer nachhaltigen ökologischen Entwicklung des Standortes, verbunden mit der Einbettung eines Denklabors zur Entwicklung von ökologischer Technik, die dazu beiträgt, Energie zukünftig umweltneutral zu gewinnen und den Verbrauch entscheidend zu verringern, für richtig.

DIE LINKE Reinickendorf beteiligt sich an diesem Entwicklungsprozess und fordert die politischen Gremien auf Reinickendorfer Bezirksebene auf, unverzüglich eine eigenständige Konzeption zu entwickeln, die es möglich macht, regionale Interessen produktiv und kooperativ in die zu entwickelnde Gesamtplanung einfließen zu lassen. Unumgänglich ist aus unserer Sicht die frühzeitige Einbeziehung der Reinickendorfer Bürger in Form eines Rundes Tisches.

Jürgen Schimrock
Mitglied des Bezirksvorstandes der LINKEN Reinickendorf