Ein Brief aus der Vergangenheit
Wir in Reinickendorf • 04/2003
Bewegend: Ehemaliger Zwangsarbeiter in Reinickendorf
Der Brief kommt aus der Ukraine. L. A. Lebedew schreibt an die PDS Reinickendorf. Sein Bekannter Viktor Plitko - er kann nicht genügend Deutsch - braucht eine Bescheinigung. Als 22-jähriger war jener im August 1942 aus seinem Dorf im Kirowograder Gebiet zur Zwangsarbeit ins faschistische Deutschland verschleppt worden. Im Brief werden seine Leidensstationen genannt: 11 Monate als Dreher in den Teves-Werke in Wittenau, Fluchtversuch, Gefängnis in Nauen, Spandau und am Alexanderplatz, Häftlingsnummer 816 im „Arbeitserziehungslager“ in der Wuhlheide, Holzbearbeitungswerk Petershagen, 5 Monate im Krankenhaus Altlandsberg, wo seine gangränösen Beine gerettet werden, danach wieder bei Teves bis zur Befreiung im April 1945. Dort habe es seinerzeit eine kommunistische Betriebsgruppe gegeben. „Vielleicht erinnert sich einer...“ an jene Zeit vor 60 Jahren. Plötzlich rückt Vergangenheit ganz nah.
Rd. 30 Tausend Zwangsarbeiter gab es in Reinickendorf, die in 71 Industriebetrieben, aber auch bei der Post, in Krankenhäusern, im Gewerbe und Handwerk, in Bauernwirtschaften, selbst bei der Kirche ausgebeutet wurden. Sie kamen aus Polen und Ungarn, aus Holland und Frankreich, aus Belgien und Tschechien- und aus der Sowjetunion wie Viktor P. Sie wohnten „unter uns“ im „Russenlager“ entlang der Ziekowstraße, im KZ-Außenlager Sachsenhausen an der Flottenstraße, im Strandbad Tegel und anderswo - nachgewiesen sind 130 Standorte in Reinickendorf. An ihnen verdienten Rheinmetall-Borsig und Degussa, Argus und DWM, Volta, Teves und viele andere „renommierte“ Reinickendorfer Firmen, die mit ihren Granaten, Panzern, Flugzeugen, Patronen den faschistischen Eroberungskrieg bis zum bitteren Ende führen halfen. Diese Fakten waren bis Ende März in einer eindrucksvollen Ausstellung im Reinickendorfer Heimatmuseum zu erfahren.
Mit dem Brief aus Swetlowodsk wird Geschichte sehr eindringlich. „Vielleicht können Sie ihm helfen...“ Wir versuchen es.
Klaus Gloede