Einer von 18.477 im Bezirk
Wir in Reinickendorf • 04/2003
Arbeitsmarktreform: Mehr Druck, aber keine neuen Arbeitsplätze
Als ich ihn Anfang März traf, war er ziemlich bedrückt. Er hätte eigentlich gerade eine Umschulung begonnen haben müssen. In Papier und Tüten war es schon. Doch dann trat Hartz in Aktion, der Mann, der mit seiner Kommission der Regierung gesagt hat, wie man die Erwerbslosen wieder in Arbeit bringt, und ordnete an: Lehrgänge mit Einstellungswahrscheinlichkeit unter 70 Prozent sind nicht mehr. Die Frau oder der Mann, die Lothars Lehrgang hätten leiten sollen, suchen jetzt vermutlich selber was mit 70 Prozent.
Immerhin, Lothar ließ nicht locker, und so hat erjetzt eine Umschulung als Altenpfleger und sieht wieder ziemlich zuversichtlich aus. Von dem Beruf hat er eine Vorstellung. Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger - das ist zur Zeit sein Status - werden nämlich von Zeit zu Zeit auf ihre Arbeitswilligkeit getestet, und so hat er einige Zeit in einem Altenpflegeheim für ein paar zusätzliche Euro geholfen. Die ersten beiden Tage habe er damals unter Schock gestanden, erzählt er, aber dann habe er gemerkt, was Betreuung und ein bisschen Zuwendung für die alten Leute bedeuten, und dann habe ihm die Arbeit auch Freude gemacht.
Lothar ist 33, einer, der sich nicht gehen lässt. Auch nach der 60. fehlgeschlagenen Bewerbung nicht. Seine Situation erkennt man höchstens daran, dass er sich von allen kleinen Lastern und Freuden fern hält, die zusätzlich Geld kosten. Und die Eigenschaften hat er durchaus, die in öffentlichen Reden einem Arbeitslosen abverlangt werden, flexibel sein und Mut zur Verantwortung für sich selbst haben und so. Das hat er schon bewiesen. Als sein Studium, Fachrichtung Kernkraftwerkstechnik, weg brach, weil die Studienrichtung abgeschafft wurde, begann er als Polizist neu. Sicherheit geben und Ordnung wahren, meint er, das mache Sinn. Oft nicht einfach, aber gerade deshalb interessant. Leider waren da einige heftige Einsätze zuviel gegen Demonstrationen, an denen selbst teilzunehmen er sich vorstellen konnte.
Als sich die Möglichkeit einer Ausbildung zum Geschäftsleiter bei Woolworth bot, griff er mit beiden Händen zu. Die Ausbildung dauerte vier Jahre, und zum Schluss leitete er ein Kaufhaus. Gerade zu der Zeit stellte sich das Unternehmen auf direkte Leitung aus der Zentrale um. Kein Raum mehr für eigene Ideen und keine Möglichkeit, besondere Tüchtigkeit zu beweisen.
Lothar wagte den Sprung in die Selbständigkeit als Finanzberater. Ein Finanzunternehmen hatte Kooperationsverträge angeboten. Er schloss einen ab und vermittelte Geldanlagen und Versicherungen an Kunden, die er selber suchte, und er beriet auch Firmen bei der Kostenoptimierung. Lothar schuf sich einen soliden Kundenkreis. Doch der große Partner ging pleite. Lothar versuchte, seine Selbständigkeit zu retten, aber es blieb ein Sack voll Schulden. Berufsunfähigkeitsversicherung, Kapitallebensversicherung, Rentenversicherung - alles hin. Und nicht einmal Arbeitslosengeld. Ein Zyniker könnte sagen: Braucht er wenigstens keine Angst vor Kürzung der Arbeitslosenhilfe zu haben. Aber immerhin: Lothar kriegt eine Umschulung. Wenn auch noch keine Arbeit.
Hans Schuster
Der Name ist geändert. Die Adresse ist der Redaktion bekannt. Etwaige Arbeitsangebote werden prompt weitergeleitet.