Weiter beschleunigte Umverteilung
Wir in Reinickendorf • 05/2003
PDS-Kampagne Gesundheit: Unterm Strich - nur Solidarität rechnet sich
Die ersten halbamtlichen Nachrichten über die Gesundheits- und Krankenkassenreform liegen vor: Die Medikamenten-Zuzahlung soll steigen, der Leistungskatalog der Krankenkassen wird gekürzt, die Raucher sollen für das Mutterschaftsgeld aufkommen. Und anderes mehr. WiR sprach darüber mit der gesundheitspolitischen Sprecherin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Ingeborg Simon:
Was ist der Standpunkt der PDS zur Reform der Krankenversicherung und des Gesundheitswesens?
Die Gesetzliche Krankenversicherung ist in ihrer bisherigen Form erhaltbar und finanzierbar. Allerdings müssen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt werden: durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, allgemeine Versicherungspflicht für alle Bürger sowie Verzicht auf politische Verschiebung sozialer Kosten in die Krankenkassen, die seit 1995 der GKV fast 30 Milliarden Euro entzog. (Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt z.B. nur einen verringerten Beitrag für Arbeitslose.) Der Arbeitgeberanteil sollte nach der Bruttowertschöpfung der Unternehmen berechnet werden, was vor allem kleine Firmen mit viel Einsatz lebendiger Arbeit entlasten würde.
Sind die bekanntgegebenen Einzelheiten schon die ganze Wahrheit über die Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung?
Die Wahrheit ist, dass es Bestrebungen gibt, die Krankenversicherung in eine ganz andere Richtung zu entwickeln. Bisher hatten wir eine solidarische und paritätisch finanzierte gesetzliche Krankenversicherung. Solidarisch, weil die Gesunden für die Kranken einstanden, die Jungen für die Alten, die Ledigen für die mit Familie. Jeder trägt nach seinem Einkommen bei und bekommt von der Kasse im Krankheitsfalle die Leistungen bezahlt, die er braucht. Diese Solidarität ist auch bei sehr gutem Einkommen die rentabelste Art, gesichert zu sein. Paritätisch war die Krankenversicherung, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Gesundheitsleistungen halbe-halbe finanzierten.
Und nun?
Die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung sollen etwas zurückgefahren werden auf 13 Prozent vom Lohn oder Gehalt, wovon die Hälfte der Arbeitgeber trägt. Der Anteil der Arbeitgeber soll fest geschrieben werden. Wenn die Krankenkassen damit nicht auskommen, sollen die Versicherten das abfangen. Entweder ganz aus eigener Tasche oder durch eine Zusatzversicherung. Oder vielleicht einmal sogar durch Verzicht. Übrigens, so ganz paritätisch sind medizinische Leistungen und Medikamente längst nicht mehr finanziert. Wegen der verschiedenen Zuzahlungen Iiegt das Verhältnis jetzt bei 40 zu 60.
Aber die Kosten sollen doch explodiert sein.
Das Gesundheitswesen machte vor 20 Jahren etwa sechs Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus. Da steht es noch heute. Medizinisch-technischer Fortschritt macht ja nicht immer alles teurer. Löhne und Gehälter sind allerdings nicht mit dem BIP mit gewachsen. Das hängt mit der stetigen Umverteilung des Gesamteinkommens von unten nach oben zusammen.
Könnte nicht das Gesundheitswesen viel rationeller sein?
Fachleute schätzen, da stecken 10 Milliarden Euro Reserven jährlich. Sie könnten erschlossen werden durch integrative und kooperative Versorgung, durch Verzahnung von stationärer und ambulanter Behandlung sowie durch verbesserte Qualität anhand von Behandlungsleitlinien. Die Einführung einer Medikamenten-Positivliste könnte vier Milliarden erbringen. Bessere Früherkennung und mehr Vorsorge würden perspektivisch gerade bei Volkskrankheiten wie - Herz- und Kreislauferkrankungen oder Krebs jährlich über 20 Milliarden einsparen - ein Viertel etwa der gegenwärtigen Kosten dafür. Und noch mehr Einsparung von Leid.
Was unternimmt die PDS?
Sie PDS sucht die öffentliche Diskussion und ein breites Bündnis für eine solidarische Reform. Den Auftakt biIdete eine von der PDS organisierte Veranstaltung in Schwerin mit Gesundheitspolitikern, Vertretern der Ärzteschaft, von Krankenkassen, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbanden und z.B. Attac. Die nächste Veranstaltung wird am 24. Mai um 11 Uhr im Berliner Abgeordnetenhaus stattfinden.
Hans Schuster