Protest braucht Alternativen
Wir in Reinickendorf • 06/2003
Agenda sozial statt Sozialabbau und Entsolidarisierung
„Stagnation“, „Resignation“, „Rezession“ - die Liste der Schlagworte, die die Wirtschaftskrise (nicht nur) in Deutschland beschreiben sollen, könnte fortgesetzt werden. Eine Krise des Gesellschaftssystems, des Kapitalismus, eine Krise der begleitenden Politik oder ein Problem mangelnder Einsicht in „Notwendigkeiten“ der privat oder öffentlich abhängig Beschäftigten in unserem Land?
Die Antwort der herrschenden Politik scheint einfach: Es fehlen Aufbruchstimmung, Anreize bzw. Druck zur Arbeitsaufnahme, Gewinnaussichten für Unternehmer. Und es gibt „unmoderne“ Gewerkschaften, die mit maßlosen Forderungen die Krise auch noch verschärfen.
Die geforderten und in der „Agenda 2010“ inzwischen festgeschriebenen Instrumente der profitorientierten Wirtschaft sind die alten: Reduzierung der Staatsausgaben, Privatisierung der sozialen Risiken (Alter, Krankheit, Erwerbslosigkeit), Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt, Lohnverzicht und anderes mehr. Der „Markt“ soll und wird es schon richten, so der Tenor in den Wirtschaftsverbänden, Politik und den gleichgeschalteten Medien.
Kritiker dieser Entwicklung sind sich einig, dass diese „Agenda“ nicht geeignet ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das soll sie offenbar auch nicht, und das ist das Grundproblem.
Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik macht den Einsatz menschlicher Arbeitskraft zunehmend unnötig. Der Effizienz wirtschaftlicher Produktivität schadet dies nicht, im Gegenteil, sie war nie höher. In Deutschland wird heute pro Kopf drei Mal soviel produziert wie 1960. Das heißt, es ist Zeit Arbeit gerechter und sozialer zu verteilen. Dies kommt dem Menschen zu Gute, fördert Gesundheit, Lebensqualität und sichert auf der anderen Seite Nachfrage, Konsum, stärkt also den Wirtschaftskreislauf.
Setzt sich der neoliberale mainstream nachhaltig durch, droht eine verstärkte Spaltung der Gesellschaft in erwerbstätige und notwendigerweise gesellschaftlich „subventionierte“ Menschen. In die, die sich die schwer erkämpften Angebote des Sozialstaates noch leisten können und jene, die angewiesen sind auf Geld und Dinge, die ihnen zugeteilt werden, weil ihnen nicht möglich gemacht wird, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften. Gewerkschaften, linke Parteien und Wirtschaftsfachleute protestieren seit Monaten gegen diese zutiefst unsoziale Poitik. Wenn „Reformen“ heute nur noch den Abriss des Sozialstaates zum Inhalt haben, Hartzund Rürup-Kommission zu Horror-Kabinetten verkommen, gilt es Alternativen sichtbar zu machen. Hier setzen Reformvorschläge der PDS an, sie liegen längst auf dem Tisch.
Der Sozialstaat ist finanzierbar, wenn alle Einkommensarten und - gruppen dazu beitragen. Die Wiedererhebung einer Vermögens- und Zinsertragssteuer würde einseitig die Bessergestellten belasten, wäre aber angesichts der sozialen Grausamkeiten bei Erwerbs- und Mittellosen nur gerecht. Arbeitgeberbeiträge zu den sozialen Sicherungssystemen sollten nicht mehr nach der Lohnsumme sondern nach der „Brutto- Wertschöpfung“ berechnet werden. Auf der anderen Seite würde eine „bedarfsorientierte soziale Grundsicherung“ dem gesellschaftlichen und technischen Entwicklungstand in Deutschland entsprechen.
Klaus Rathmann
Jürgen Schimrock