Rürup tat, was er sollte

Wir in Reinickendorf • 9/2003

PDS schlägt vor: „Agenda sozial"

Von Petra Pau, Mitglied des Bundestages (PDS)

„Das ist ein großer sozialpolitischer Wurf!" Mit diesen Worten pries Prof. Rürup sein Werk. Es ist über 300 Seiten dick und soll helfen, die kränkelnden Sozialsysteme zu heilen. Die Gesundheitsministerin spendete Lob, der Kanzler zollte Dank. Beide versprachen, möglichst viele Vorschläge der „Rürup-Kommission" in Gesetze zu gießen.

Das kann heiter werden. Es geht um Renten, es geht um Gesundheit, es geht um Zukunft. Unter dem Strich bedeuten die Rürup-Konzepte: Es soll später, dafür aber weniger Rente geben. Die sozialen Risiken werden privatisiert. Der Sozialstaat flieht und die Unternehmen – laut Grundgesetz sozialverpflichtet – nehmen Reißaus.

Um keine Illusionen zu nähren: Die Sozialsysteme müssen wirklich reformiert und den Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Die Frage ist nur, wie und mit welchem Ziel? Deshalb lohnt sich eine Erinnerung. Die Solidarsysteme, die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenkassen, hatten einst folgenden Grundgedanken: Gesunde helfen Kranken, Verdienende helfen Arbeitslosen, Reiche helfen Armen. Derweil zahlen Kranke mehr als Gesunde, Arme mehr als Reiche, abhängig Beschäftigte mehr als viele Unternehmer. Die Solidarität wird entsorgt und mit ihr die Gerechtigkeit.

Also Schimpf und Schande gegen den Professor und die gleichnamige Kommission? „Wir haben das System ausgereizt", sagte Rürup am Tag seines Triumphes. Er hat Recht, das war sein Auftrag und genau das ist die Crux. Um die Systeme zu retten, wurde das Solidarprinzip geopfert. Wollte man jedoch das Prinzip retten, so hätte man die Sozial-Systeme ändern müssen. Das wäre in der Tat eine Reform gewesen. Genau das aber war nicht gewollt.

Nun sind „System" und „Prinzip" so abstrakte Begriffe, dass fast niemand damit etwas anfangen kann. Man muss es auch nicht. Es reicht ein Blick zurück. Zu Bismarcks Zeiten wurden Arbeitnehmer und Arbeitgeber verpflichtet, für alle Vorsorge zu treffen, die krank werden oder Rente erwarten. Da dies gemeinsam und paritätisch geschah, traf es sich mit dem „Prinzip", es hatte solidarische Züge.

Und es hatte eine Logik: Unternehmen waren damals deshalb stark, weil viele in ihnen arbeiteten, je mehr, desto größer waren die Gewinne. Heute haben Gewinne immer weniger mit der Zahl der Beschäftigten zu tun. Im Gegenteil. Wird rationalisiert, dann läuft eine Entlassungswelle, dann freut sich die Börse, dann steigen die Kurse und zugleich sinken die fälligen Sozialabgaben in die „Systeme", eben, weil es weniger Beschäftigte gibt. Das ist ein Grund, warum die Kassen kränkeln und das Solidarprinzip an Schwindsucht leidet.

Deshalb schlägt die PDS seit langem einen Systemwechsel vor. Weg von Arbeitgeberbeiträgen, die sich aus der Lohnsumme errechnen. Hin zu einer Abgabe, aus den Gewinnen gespeist wird. Der zweite Kardinalfehler des „Systems": Es umfasst nur jene, die eher zu den unteren Einkommensgruppen gehören. Wirklich besser Verdienende, ganze Berufsgruppen, auch Politiker, haben mit den allgemeinen Sozialsystemen nichts zu tun. Auch das ist nicht mehr zeitgerecht.

Die PDS hat als Alternative zur Agenda 2010 des Kanzlers eine „Agenda sozial" skizziert. Sie wäre ein besserer „sozialpolitischer Wurf".