Max Hodann ist so einer.
Wir in Reinickendorf • 03/2007
Alt-Reinickendorf. Der Anger. Im Blick die spätmittelalterliche Kirche, im Rücken das Haus Nr. 45. Am Haus selbst eine Tafel. Mit ihr wird eines „echten“ Berliners gedacht, der, wie alle guten Hauptstädter, aus der „Provinz Schlesien“ stammte: Dr. Max Julius Karl Hodann. Stadtarzt und Leiter des Gesundheitsamtes Reinickendorf.
Hans-Rainer Sandvoß, Autor der Schrift „Widerstand in Pankow und Reinickendorf“ nennt Sexualpädagogik und „gesundheitspolitisches Engagement für die Ärmsten der Armen“ die Hauptbetätigungsfelder Hodanns, und er zählt weiter auf: Gründer der ersten Mütterberatungsstelle in Berlin, Leiter des „Proletarischen Gesundheitsdienstes“ (PGD), Mitarbeiter am „Institut für Sexualwissenschaft“ von Carl Magnus Hirschfeld, führend in der „Internationalen Arbeiterhilfe“ (IAH).
Peter Weiss, rund zwanzig Jahre nach Hodann geboren, als Schüler der Schulfarm Scharfenberg immerhin zeitweilig Wahl-Reinickendorfer, schreibt in seiner „Ästhetik des Widerstands“: “Hodann... hatte Deutschland am 10. Mai 1933 verlassen, an dem Tag, als auf dem Platz zwischen der Hedwigskirche und dem Denkmal Friedrichs des Zweiten, des Freundes Voltaires, des Flötenspielers und Soldatenschinders, zum ersten Mal die Bücher ketzerischer Autoren auf den nationalsozialistischen Scheiterhaufen brannten...“
An anderer Stelle erzählt Weiss, wie Hodann spöttisch-verschmitzt über die Aberkennung seines Doktorgrades berichtete. „Er las, in seiner stark vom Berliner Dialekt gefärbten Sprechweise, den Wortlaut des im Deutschen Reichsanzeiger vom 11. Oktober 1937 veröffentlichten Beschlusses der Universität zu Berlin, an deren medizinischer Fakultät er im Dezember Neunzehn promoviert worden war. Er legte das Blatt, das der Pressedienst ihm eben zugestellt hat, in die Mappe, die, wie er sagte, noch anderes ehrenwertes Zeugnis enthielt: die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft vom 14. Juli 1933.“
In der „Ästhetik des Widerstands“ treffen wir Hodann im Spanischen Bürgerkrieg. Als Chef des Rekonvaleszenzheims Cueva la Potita will er die Verletzten nicht nur heilen; er will sie motivieren, ihr Dasein in der Krankenstation als neue, konkrete Aufgabe zu erleben, die zu lösen war mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Seite im Kampf gewählt hatten.
Hodann hatten die Nazis zunächst in „Schutzhaft“ genommen. Weiss war mit seinen Eltern emigriert. Später gelangten beide, unabhängig voneinander, nach Schweden. Bis heute beeindruckend, besonders für mich als „gelernten DDR-Bürger“, Hodanns Souveränität im Umgang mit den politischen und ideologischen Fragen seiner Zeit. Er war ein selbständiger Denker, der seine Meinung auch nicht für sich behielt. Er hatte ein starkes Bedürfnis, zur absoluten Klärung jeder Frage zu gelangen. Gerade darum musste er auch die Fehler, die Trugschlüsse benennen. Dass er sich so nicht nur Freunde machte, dass er aneckte, ist nur zu verständlich.
„Wir dürfen nicht“, sagte er, „unsern winzigen persönlichen Maßstab an die komplizierten und langwierigen politischen Verläufe legen, wir sind unscheinbar neben der Lokomotive der Geschichte, selbst wenn wir selbst es sind, die diese mit unsern ... Handlungen in Gang setzen.“
In Zeiten, in denen die Gesellschaft ihr bereits bekannte Gefahren erneut reproduziert, an militanten Rechtsextremismus denke ich, erinnert man sich jener, die gleichen Gefahren trotzten. Max Hodann ist so einer.
Werner Wüste