Wer war Wolodja?

Wir in Reinickendorf • 04/2007

Zum 10. Todestag von Wladimir Lindenberg

Von Werner Wüste

Im Heimatmuseum sein Arbeitszimmer: als würde er gleich hereinkommen und sich an die Schreibmaschine setzen: Erinnerung an Wladimir Lindenberg.

Als der große Krieg der weißen Männer 1945 an seinen Ursprung zurück gekehrt und in seiner eigenen Höhle verreckt war, fanden sich überall im Land Menschen, die, ohne Aufforderung, ohne viel Worte begannen, Leben wieder möglich zu machen. Sie taten, was „die Not wendete“. Einer dieser Männer war er.

Sieben autobiographische Bücher, insgesamt knapp 2000 Seiten, schrieb er über sich und seine Erlebnisse, alle in der dritten Person: „Bobik in der Fremde“, „Bobik begegnet der Welt“, später tauchte Wolodja im Titel auf. (In der Familie, sehr alter russischer Adel, der Zarenfamilie nahe, wurde er so gerufen.)

Nach der Oktoberrevolution, emigrierte er mit Schwester Vera und dem Stiefvater nach Deutschland; er sollte Deutscher werden, wusste aber bald, er würde es nicht können, sollte Ingenieur werden und widersprach nicht. In seinem Innern aber stand das Berufsziel längst fest: Arzt. Da war er Siebzehn.

Die Familie lebte in Remscheid. Hier lernte er den jungen Richard Sorge kennen, der von ihm unbedingt im Russischen unterrichtet werden wollte. Folgerichtig findet sich in seiner Bibliothek ein Buch über den sowjetischen Kundschafter. Auch mit dem Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf (u.a. „Zyankali“, „Professor Mamlock“) kam er in Berührung. Dessen Kindern sollte er russische Lieder singen. Im Berlin der Zwanziger traf er unter anderen Alexej Tolstoi und Ilja Ehrenburg; auch Prinzessin Viktoria zu Schaumburg- Lippe, Schwester von Kaiser Wilhelm II.

„Helfend dienen“

Er war tief überzeugter Christ, vielseitig interessiert, vielseitig begabt. Er schrieb, malte, stickte Wandbehänge. In seinem zweiten Buch, das 1926 thematisch mit dem Staatsexamen endet, formulierte er sein Credo, „den leidenden Menschen jenseits aller Grenzen von Rasse, Partei, Religion und gesellschaftlichem Rang zu dienen, helfend zu dienen“.

Dann kamen die Nazis. Wolodja machte aus seiner Antinazihaltung kein Hehl. Er wurde denunziert und verurteilt: Vier Jahre Haft, von denen er etwa drei und ein halbes im Börgermoor verbrachte. Im Herbst 1941 wurde er tatsächlich entlassen. Vielen seiner Gefährten widerfuhr anderes.

1943 ausgebombt, lebte er fortan in einem Behelfsheim in Schulzendorf. Hier verbrachte er schließlich seine letzten Lebensjahre, querschnittgelähmt, im Rollstuhl, immer noch praktizierend, „Vater der Hirnverletzten“; Patienten klopften ans Fenster und erhielten den Hausschlüssel, für seine Katzen war eines der Fenster immer nur angelehnt. Er starb knapp 95jährig.

Solche wie ihn nannte man später achtungsvoll „Aktivisten der ersten Stunde“. „Noch einmal davon gekommen“, wirkten sie mit an den Grundlagen für eine beispiellos lange Periode des Friedens in Europa (wenn man den Begriff für die Abwesenheit von Krieg gelten lassen will).