Doch nicht Französisch lernen?

Wir in Reinickendorf • 12/2007

Wie ein Staatsbesuch in Reinickendorf zur Politfarce verkommt

12. November 2007. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy besuchen die Romain-Rolland-Oberschule. Anlass ist das Treffen des deutsch-französischen Ministerrates. 16 ausgewählte Schülerinnen und Schüler mit Migrationhintergrund dürfen im Rahmen einer Diskussionsrunde Fragen zum Thema Integration stellen.

Wortreiche Erwiderungen, jedoch keine Antworten

...Die angekündigte Diskussion verkommt zu einer Lesestunde, die Fragen mussten Wochen vorher genehmigt und bei Bedarf abgeändert oder zensiert werden. Trotzdem ist es vielleicht interessant, was man uns zu diesem Thema näher bringen will, denke ich mir. Die SchülerInnen, die an der Diskussion teilnehmen sollen, gehen nach der zweiten Stunde in die für den Besuch hergerichtete Caféteria. Alle anderen, immerhin einige hundert, sollten die Möglichkeit bekommen, eine Live-Übertragung auf einer Leinwand in der Turnhalle sehen zu können. Doch dann die Ernüchterung. Die Übertragung ist schlecht, der Ton viel zu leise. Das sowieso geringe Interesse der meisten SchülerInnen schwindet schnell, dafür steigt der Lärmpegel, man kann keinen vollständigen Satz aus der Caféteria mehr verstehen. Nach etwa einer Dreiviertelstunde ist der Spuk dann auch schon wieder vorbei, der hohe Besuch bricht unvermittelt auf. Der Zeitplan muss eingehalten werden.“ (O-TonTimm)

Immer noch Festung Europa?

Die Aussagen der „hohen Gäste“ bestätigen: Für sie sind Migrantinnen und Migranten selbst offenbar die größte Gefahr für eine erfolgreiche Integration. Sarkozy fordert von den Schülern in bekannter "Das-Boot-ist-voll"-Manier mehr Mut, um Flüchtlinge stärker zu kontrollieren, sie von den Grenzen Europas fernzuhalten. Auch Frau Merkel will hart bleiben: Die Migranten sollen Deutsch lernen, Arbeitsplätze gibt es für sie sowieso nicht.

Was nicht auf der Tagesordnung stand

Mitglieder der Linksjugend ['solid] Reinickendorf verteilten ein Flugblatt, auf dem die unerträgliche Arroganz der Macht in der Europäischen Union angeprangert wird. Der im Jahr 2005 am Veto der französischen und niederländischen BürgerInnen gescheiterte Verfassungsvertrag wird den Europäern nun als „Reformvertrag von Lissabon“ in einem neuen Umschlag mit demselben neoliberalen Inhalt angeboten, damit dieser „leichter zu schlucken sei“ (Valéry Giscard d’Estaing, ehem. Präsident des Verfassungskonvents).

Diesmal soll sicherheitshalber keiner der .493 Millionen EU-Bürger gefragt werden. Ob den Merkels und Sarkozys das gelingt, hängt auch von unserem Widerstand ab.

Robert Irmscher