Demokratie auf dem Prüfstand
Wir in Reinickendorf • 04/2008
BVV debattierte Spendenskandal im Bezirksamt
Im Zentrum einer Sondersitzung der BVV am 5.3.2008 stand die Große Anfrage der SPD „Jetzt Konsequenzen aus der Spendenaffäre der Bezirksbürgermeisterin ziehen“ (Drs.-Nr.: 0455/XVIII). Wer gehofft hatte, dass Frau Wanjura, nach Urlaub und längerer Krankheit ins Rathaus zurückgekehrt, nun für Aufklärung zu den zahlreichen „Unregelmäßigkeiten“ im Umgang mit Spenden in ihrem Verantwortungsbereich sorgen würde (vgl. 15. und 16. BVV-Sitzung), sah sich getäuscht. Die Bürgermeisterin plauderte ausführlich über “Kosakenzipfel“ und „Zipfelmützen“, „honorige Privatleute“ und „Fipps“, „grüne Zettel“ und „Erbsenzähler“. Was ihr unangenehm war, z. B. der alles auslösende Skandal um die Spende für die „Serenade am See“ wurde weggelassen. Letztlich erfuhr der Zuhörer, dass „in zwei oder drei Fällen ... fälschlicherweise eine Spendenbescheinigung ausgestellt worden“ sei und „in weiteren drei Fällen ...sich die Dokumentation und Aktenführung als verbesserungswürdig herausgestellt“ habe, im Grunde bloße Formfehler, die zu korrigieren seien.
„Wirklichkeitsverweigerung"
Wanjura benutzte ihre Rede zu einer ungezügelten politischen Abrechnung mit ihrem Stellvertreter (für sie ein no-name), dem sie u.a. eine „Verletzung einschlägiger beamtenrechtlicher Vorschriften“ vorwarf. Und leitende Beamte des Bezirksamtes mussten sich von ihr den Vorwurf einer Arbeitsverweigerung anhören (was den Personalrat des BA zu einer Protesterklärung veranlasst hatte). Selbst eine außerordentliche BA-Sitzung ließ sie nicht einlenken. Peter Senftleben nahm die Kampfansage an. So entwickelte sich ein in dieser Form in der BVV ungekannter Schlagabtausch zwischen der CDU und der SPD, den FDP-Fraktionsvorsitzender Vetter als „Schlammschlacht“ charakterisierte. „Höhepunkte“ waren die gegenseitige Aufforderung: „Machen Sie Ihren Platz frei!“ und die Drohung Wanjuras mit Ihrem Rechtsanwalt. Schwer vorstellbar, dass Bürgermeisterin und Stellvertreter danach zu einer sachlichen Zusammenarbeit im BA zurückkehren könnten. Die nächsten Wahlen sind erst 2011.
„Wir haben Fragen gestellt...
...und unser Recht auf Akteneinsicht wahrgenommen“, wies Anke Petters, Fraktionsvorsitzende von B90/Grüne, den Vorwurf zurück, eine Rufmordkampagne gegen die Bürgermeisterin eingerührt zu haben. Als sie aus anonymen Schreiben an die Fraktionen zitierte, konnten sich die CDU-Verordneten kaum noch zurückhalten. Die Unruhe ist verständlich: Die Götterdämmerung im Rathaus am Eichborndamm ist auch für die CDU spürbar. Bloßgelegt wurden in den vergangenen Wochen die Mechanismen von fast 13jähriger politischer Regentschaft der „Reinickendorf-Partei“, das „System Marlies Wanjura “.
Ich finde: Wenn Demokratie Ernst genommen wird, ist das gut für den Bezirk.
Friedrich Wilhelm
Nachtrag:
Die Senatskanzlei hat am 11.3. angeordnet, dass Wanjura sich nicht mehr zur Spendenaffäre und zum Borsighafenprojekt äußern darf. Sie habe versucht, „die Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe zu behindern und damit außerhalb der ... in Disziplinarverfahren gegebenen Möglichkeiten Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen"
(Der Tagesspiegel, 18.3.2008).
Mangelhaft
In Reinickendorf gibt es neben den beiden vom Senat vorgeschriebenen Innenrevisionen keine Prüfgruppen. Eine zentrale Prüfgruppe ist politisch nicht gewünscht. Das heißt, es gibt für vier Abteilungen einschließlich der Bauabteilung keine Routineüberprüfungen und Kontrollen. Anlassbezogene Prüfungen werden vom Rechtsamt wahrgenommen.
aus: Bericht von Transparency International Deutschland zur Korruptionsprävention in den Berliner Bezirken, März 2008