Die Verhältnisse sind nicht so

Wir in Reinickendorf • 05/2008

Im Fokus der BVV: Migration in Reinickendorf –
Sitzung der BVV am 16.4.2008

„Ein guter Mensch sein! Ja, wer wär´s nicht gern,“ lässt Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper seinen Helden sprechen und ein paar Zeilen später: „doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“.

Das war – unausgesprochen zwar, aber umso deutlicher spürbar – das Credo der Debatte in der 18. Sitzung der BVV zur Großen Anfrage „Migration – In Reinickendorf kein Thema“.

Gute Menschen, das wollten sie alle sein, die sich in den 75 Minuten dazu äußerten, Frau Anke Petters von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Herr Michael Schulz (Fraktion Die Grauen – Generationspartei), Frau Claudia Skrobek (CDU), Frau Weller-Bechthold (FDP) und vor allem der Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit, Herr Andreas Höhne (SPD).

Der beantwortete die sieben Unterfragen der Großen Anfrage – angefangen von der nach dem „Anteil von Migranten/Migrantinnen“ an der Reinickendorfer Bevölkerung bis zu der nach der Haltung des Bezirksamtes zur Berufung eines Migrationsbeauftragten und eines Migrationsbeirates ausführlich und mit Akribie.

Vielschichtige Probleme

Etwa 23.000 Bürger mit Migrationshintergrund leben in Reinickendorf. Die Informationsangebote im Internet für diese Bevölkerungsgruppe sind unterbelichtet. Das Bezirksamt bietet kostenlos Sprachunterricht für Bürger mit kleinen Einkommen an.

Positive Tendenzen gibt es für diese Bürger bei der Vermittlung von Beschäftigungsverhältnissen, auch dank der Maßnahmen des Job-Centers und mit Hilfe des öffentlichen Beschäftigungssektors sowie mit einer Vielzahl von Projekten freier Träger.

Im Kern seiner Aussagen zeigte er den Bezirksverordneten demonstrativ den Sozialstrukturatlas. In den rot gekennzeichneten Verkehrszellen wie Tegel Süd und Märkisches Viertel, die durch Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Armut, Sterblichkeit, Lebenserwartung, Bildung/Sprache und Kindergesundheit überproportional belastet sind, ist auch der Anteil der Bürger mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich. Dieser Anteil beträgt für das Märkische Viertel 11% und für Reinickendorf im Durchschnitt 9,6%.

Armut und Gewalt

Diese sozial belasteten Verkehrszellen sind durch Mangel an sozialer Infrastruktur, durch einen hohen Grad der Armut, Gewaltprobleme, Gewalt in der Familie und durch zunehmenden Rassismus gekennzeichnet.

Betroffen sind hier alle Bewohner dieser Kieze, unabhängig davon ob ihre Eltern in Berlin, in Sachsen, in Italien, der Türkei, Kasachstan oder sonst wo geboren sind.

Und verursacht wird diese Lage auch nicht durch fehlende Sprachkenntnisse und mangelhafte Bildung vieler ihrer Bewohner, sondern durch die ungezügelten Kapitalismusverhältnisse.

Dennoch oder gerade deswegen ist jede Maßnahme zu befürworten und zu unterstützen, die – wie von Sozialstadtrat Höhne genannt - in diesen Bereichen Sprachkenntnisse und Bildung vermittelt, angefangen von reduzierten Klassenfrequenzen bei den ABC-Schützen bis zu der Seniorenfreizeitstätte für Russlanddeutsche.

Zum Abschluss der Debatte wurde dem Antrag zugestimmt, den Ältestenrat der BVV zu ersuchen, einen Ausschuss der BVV zu bilden, der sich mit Problemen der Bürger mit Migrationshintergrund befasst.

Herbert Hanke