Durchhalteparolen aus der Reinickendorfer SPD

Wir in Reinickendorf • 11/2008

Von Andreas Wehr, Mitarbeiter der linken Fraktion GUE/NGL im Europaparlament

In der Reinickendorfer Zeitung erschien kürzlich ein Interview mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Detlef Dzembritzki. Es ging um die Situation in Afghanistan. In der Zeitung wird Dzembritzki als Vorsitzender der „Task Force Afghanistan“ vorgestellt. Er sollte damit eigentlich ein Kenner der Situation sein. Dass die Interviewfragen wenig kritisch ausfielen, verwundert nicht vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Reinickendorfer Zeitung um ein SPD-Blatt handelt. Da tut man sich nicht weh. Auch wurde die prekäre Situation des Landes am Hindukusch in auffallend hellen Farben gezeichnet. Einige Aussagen Dzembritzkis verlangen aber nach entschiedenem Widerspruch, stehen sie doch in einem grotesken Gegensatz zur Wirklichkeit.

Hierzu gehört etwa die folgende Einschätzung des Bundestagabgeordneten: „In Afghanistan haben wir eine Nachkriegssituation nach mehr als 30 Jahren Bürgerkrieg, Okkupation und Staatszerfall.“ Doch fast täglich lesen und hören wir von militärischen Zusammenstößen mit zahlreichen Toten auf beiden Seiten. Verteidigungsminister Jung spricht im Angesicht getöteter Bundeswehrsoldaten bereits von „Gefallenen“. Seit wann bezeichnet man die in einer Nachkriegsordnung zu Tode Gekommenen als Gefallene? Tatsache ist, dass in Afghanistan ein Krieg wütet. Und dieser Krieg wird auf der einen Seite vor allem von Nato-Truppen geführt. Diese Truppen sind Okkupanten, ob man sie so bezeichnen will oder nicht. Das geschundene Land erleidet also weiterhin Bürgerkrieg sowie Okkupation, und Afghanistan ist weiterhin ein in Auflösung begriffener Staat. Nichts davon ist Vergangenheit.

An anderer Stelle sagt Dzembritzki: „Das Entscheidende ist: Wir sind auf Wunsch der afghanischen Regierung, des afghanischen Parlaments und aufgrund von Beschlüssen der Vereinten Nationen hier.“ Was die Vereinten Nationen angeht, so hatten sie auch dem ersten Golfkrieg 1990 ihre Zustimmung gegeben. Ob Kriege der USA bzw. der NATO von dort abgesegnet werden, hängt allein davon ab, ob Russland oder China ein Veto dagegen einlegen. Und das tun sie nur, wenn ihre unmittelbaren Sicherheitsinteressen berührt sind. Im Falle Afghanistans war dies nicht der Fall. Auch in der UNO sind die Staaten und Völker eben leider nur Schachfiguren auf dem Brett der Großen. Und was die afghanische Regierung und das Parlament betrifft, so hatten sie erst nach erfolgter Okkupation Beschlüsse gefasst, in denen sie die NATO-Truppen um Hilfe baten. Zum Zeitpunkt des Eingreifens der USA waren jene Kräfte, die Regierung und Parlament heute tragen, als sogenannte Nordallianz lediglich auf ein kleines Territorium, ganz im Nordosten des Landes, beschränkt. Nach Kabul kehrten sie erst mit den Amerikanern zurück.

Die heute in Afghanistan regierenden Kräfte unterscheiden sich im Übrigen gar nicht so sehr von den Taliban. So manches Regierungs- oder Parlamentsmitglied bzw. Warlord und Drogenboss gehörte zu den fundamentalistischen, blutrünstigen und extrem frauenfeindlichen Mujahedin aus der Zeit des Kampfes gegen die von der Sowjetunion unterstützte afghanische Regierung Karmal. Die Übergänge zu den Taliban sind denn auch fließend. Mancher Provinzpolitiker wechselte schon mal die Seiten, mancher gleich mehrfach. Kenner der Situation vermuten denn auch, dass der Krieg eines gar nicht mehr so fernen Tages mit Hilfe eines Kompromisses, geschlossen zwischen einzelnen Fraktionen der Taliban und Teilen der jetzigen Staatsführung, beendet werden wird. Die USA werden damit wenig Schwierigkeit haben, hatten sie doch einst alle Widerstandsgruppen, unter ihnen Bin Laden, großzügig mit Waffen versorgt und arbeiteten sie doch bis zum 11. September 2001 ohne größere Probleme mit den Taliban zusammen. Bis zu einem Friedensschluss wird aber leider noch sehr viel Blut, auch das deutscher Bundeswehrsoldaten, sinnlos vergossen werden.

Die deutsche Aufgabe in Afghanistan besteht für Dzembritzki „weiterhin darin, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die afghanischen Institutionen selbständig arbeiten können. Es geht um den zivilen Wiederaufbau“. Die Bundeswehr erscheint bei ihm als so etwas wie ein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Und die kürzlich beschlossene Truppenaufstockung der Bundeswehr von 3.500 auf 4.500 Mann wird mit der notwendigen Abstützung des zivilen Aufbaus begründet. Es werden Durchhalteparolen ausgegeben. „Wenn wir uns zurückhalten mit unserem Engagement, dann wird es – meine ich – sehr lange dauern. Stellen wir aber die notwendigen Ressourcen jetzt zur Verfügung, dann gibt es die Chance, in absehbarer Zeit unser militärisches Engagement zu reduzieren und nur noch auf die zivile Zusammenarbeit zu setzen.“ Ganz ähnlich klang es schon während des Vietnamkriegs aus Washington.

Es gab eine Zeit, da wurde die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD von klugen Menschen gestaltet. Einer von ihnen ist Egon Bahr. Der sagte jetzt über den Krieg in Afghanistan: „Es könnte ja sein, dass die Aufgabe objektiv nicht lösbar ist. Ein Land mit traditionellen Strukturen, die sich der Modernisierung entziehen, vielleicht sogar widersetzen, wenn nach unserem Bilde modernisiert werden soll. Das erinnert an die lateinische Wahrheit: ultra posse nemo obligatur – über das eigene Vermögen hinaus zu handeln, ist niemand verpflichtet.“ (Freitag vom 03.10.08) Es ist zu hoffen, dass die heutige SPD diese Bedenken endlich zur Kenntnis nimmt.