Ethikunterricht für alle!

Wir in Reinickendorf • 4/2009

Volksentscheid am 26. April

Auch das ist Berlin, zumindest aktuell: Hauswände, Straßenränder und Laternenmasten bestückt mit Plakaten zum Thema: Ethikunterricht und/oder Religionsunterricht: Gemeinsam oder getrennt? Man hat stellenweise den Eindruck, in ein „letztes Gefecht“ geworfen zu sein. Auf Großplakaten postulieren die Verfechter des Wahlpflichtfaches ProReli: „Diesmal gilt es. Jetzt kämpfen Juden, Christen, Muslime und Atheisten gemeinsam für die Freiheit.“ Ein Außerirdischer oder BerlinbesucherInnen fragen sich vielleicht: Herrscht in der Hauptstadt neuerdings eine Diktatur, die Eltern und Kinder unterdrückt, ihnen die Freiheit raubt in ihrer Religion unterrichtet zu werden? Die Kampagne ProReli vereinnahmt gleich alle ungefragt, selbst die konfessionslosen Ungläubigen, die immerhin sechzig Prozent der BerlinerInnen ausmachen. Sie verschweigt zudem, dass anerkannte Glaubensgemeinschaften auch in Berlin an allen Schulen konfessionellen Religionsunterricht erteilen dürfen – allerdings auf freiwilliger Basis. Das ist gesetzlich und vertraglich geregelt, dafür werden z. Z. jährlich 47 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellt, für die wir als SteuerzahlerInnen alle aufkommen müssen.

Erinnern wir uns an den Ausgangspunkt der Überlegungen zu einem konfessionsübergreifenden Pflichtfach Ethik für alle SchülerInnen: Das war 2005 der Mord an der Deutschtürkin Hatun Sürücü und die erschreckenden Kommentare muslimischer Jugendlicher, die diese Tat mit Verweis auf religiöse und kulturelle Traditionen rechtfertigten. Die Debatte um gemeinsame Werte in unserer multikulturellen Stadt führte zu der Erkenntnis: Dafür brauchen wir das Wissen über unterschiedliche Werte- und Glaubenssysteme und einen Dialog darüber, was uns im Sinne universaler Ethik und Menschenrechte und demokratischer Bürgerrechte verbindet. Letztlich geht es um die Frage: Wie wollen wir MITEINANDER in einer pluralistischen Gesellschaft leben? Wieviel Toleranz oder gar Akzeptanz gegenüber traditionellen Werten in Einwandererfamilien wollen und dürfen wir aufbringen, wenn sie mit den Errungenschaften einer demokratisch verfassten Gesellschaft, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, mit den Rechten von Kindern auf Selbstbestimmung und Bildung kollidieren? So begrüßenswert Tage des interkulturellen Dialogs, ein Tag der Offenen Moschee, interreligiöse Gesprächsreihen von ExpertInnen, interkulturelle Jugendprojekte und die Ausbildung und Beschäftigung von IntegrationslotsInnen in den Stadtteilen sind: Sie erreichen nur einen Teil der Gesellschaft. Die Institution Schule kann mit ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag alle Kinder erreichen, ein Ort des Dialogs über die im Elternhaus und in separaten Glaubensgemeinschaften vermittelten Weltanschauungen und Traditionen sein. Sie kann neue, alternative Werte vermitteln. Das ist eine Chance, die die Berliner Politik 2006 mit dem verpflichtenden Ethikunterricht für alle ergriffen hat. Eigentlich müssten diejenigen die sich über den Zustand einer Stadt mit „Parallelgesellschaften“ aufregen, darüber begeistert sein: Das Unterrichtsmodell heißt Miteinander statt Nebeneinander! Es bedeutet miteinander streiten, sich verstehen und akzeptieren lernen statt gegeneinander kämpfen und bekämpfen, weitergedacht also ein Modell der Demokratiebildung und Friedenserziehung. Was sonst wäre in einer Stadt sinnvoll, in der Menschen aus 180 Herkunftskulturen und 360 Glaubensgemeinschaften leben? Halten wir also fest: Die beiden Kirchen und andere Religionsgemeinschaften genießen die FREIHEIT staatlich finanzierten Religionsunterricht an unseren Schulen zu erteilen und dafür zu werben. ProReli nutze den Begriff der Freiheit in propagandistischer Weise, um die wirklichen Ziele zu verdecken: Die Einführung eines Wahlzwanges und die Durchsetzung separater Interessen. Das hat selbst eine engagierte Gruppe „Christen pro Ethik“ erkannt: Zitat: „Wir halten den Ethikunterricht für sozial gerecht, für theologisch gerecht und für zeit-gerecht.“

Wir haben als Bürgerinnen und Bürger das Recht, in einem freien Volksentscheid am 26. April dafür zu sorgen, dass alle SchülerInnen der Sekundarstufe I weiter gemeinsam im Fach Ethik unterrichtet werden und können damit ein gesamtgesellschaftliches Interesse durchsetzen.

Deshalb: Teilnehmen und mit „NEIN“ stimmen!

Wer noch Argumente braucht: Siehe www.proethik.info

Karin Hopfmann