Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig

Wir in Reinickendorf • 3/2010

WiR sprach mit Felix Lederle, Mitglied des Landesvorstandes der LINKEN Berlin

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 9. Februar zu den Hartz-IV-Regelsätzen ist erfreulich. Eine Ohrfeige für SPD und Grüne als Verfasser und für CDU/CSU und FDP als Befürworter der „Armut per Gesetz“.

Felix, was hat das Gericht denn im Kern entschieden?

Das BVG hat festgestellt, dass die Hartz-IV-Regelsätze nicht transparent berechnet werden und nicht vom tatsächlichen Bedarf ausgehen. Erstmals wurde das soziale Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums explizit anerkannt. Der daraus folgende Leistungsanspruch umfasst laut BVG nicht nur die physische Existenz, sondern auch die gesellschaftliche, kulturelle und politische Teilhabe.

Und das BVG hat einen verfassungsrechtlichen Anspruch für besondere Bedarfe des Individuums festgeschrieben sowie die „Bedarfsgemeinschaft“ auf zivilrechtliche Ansprüche beschränkt.

Wie ist das Urteil politisch einzuordnen? Ist Hartz IV gescheitert?

Die rot-grüne Hartz-Gesetzgebung zielte v.a. darauf ab, die Lohnkosten im Arbeitgeberinteresse zu senken. Reguläre wurde durch prekäre Beschäftigung ersetzt, Lohndumping politisch unterstützt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung führt die Politik der Umverteilung von unten nach oben fort. Eine Politik aber, die Armut, Entmündigung und permanent Krisen produziert, sehe ich als Inbegriff des Scheiterns.

Was fordert DIE LINKE?

Die Bundesregierung muss das BVG-Urteil verantwortungsvoll umsetzen - auf der Grundlage einer breiten gesellschaftlichen Debatte, die die Kosten für Gesundheit, gesunde Ernährung, Bildung und Mobilität berücksichtigt. Gebraucht wird ein Gesetz, das den verfassungsrechtlich erforderlichen Leistungsumfang mittels eines transparenten und sachgerechten Verfahrens bestimmt und eine zeitnahe Anpassung der Leistungen an gesellschaftliche Veränderungen vorsieht.

Was bedeutet dies nun konkret - für die Kinder? Wird alles besser?

Aus Sicht des BVG reicht es leider bereits aus, wenn der vorgesehene Leistungsanspruch, v. a. was das physische Existenzminimum betrifft, nicht eindeutig unzureichend ist.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird nicht weiter gehen, als unbedingt notwendig. Der Antrag der Linksfraktion, die Regelsätze sofort deutlich zu erhöhen, wurde erneut abgelehnt. Es steht zu befürchten, dass unter Schwarz-Gelb Leistungen in Form von stigmatisierenden Sach- oder Dienstleistungen erbracht werden.

Welche Konzepte hat DIE LINKE?

DIE LINKE fordert eine bedarfsdeckende, sanktionsfreie Mindestsicherung, die vor Armut schützt und gesellschaftliche Teilhabe in der Praxis ermöglicht. Sie hat Finanzierungsvorschläge hierfür unterbreitet. Das ALG I soll länger bezahlt werden. Wir wollen eine Erhöhung des Lohnniveaus durch einen gesetzlichen Mindestlohn und prinzipiell sozialversicherungspflichtige Arbeit erreichen.

Durch öffentliche Investitionen in Bildung, Verkehr, Energiewende und Gesundheit soll Nachfrage angekurbelt werden, wodurch neue Arbeitsplätze entstehen würden. Wir wollen den Öffentlichen Dienst stärken und einen dauerhaften, gesellschaftlich organisierten Öffentlichen Beschäftigungssektor schaffen.