Gesundheit!

Wir in Reinickendorf • 9/2010

Unentbehrlich - und bald unbezahlbar?

Nach der Einführung von Hartz IV und der nachhaltigen Kürzung der Renten ist der anvisierte Systemwechsel in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung der dritte großangelegte Angriff auf den Sozialstaat in diesem Jahrzehnt.

Seit über zwanzig Jahren verfolgen diverse Bundes­regierungen das Ziel, die Sozialausgaben der Unter­nehmen zu reduzieren und sie den Beschäftigten, Rentnerinnen und Rentnern aufzulasten. Im Bereich der Gesundheitspolitik wurden Zusatz- und Sonderbeiträge, Zuzahlungen und Praxisgebühr zu Lasten der Versicherten eingeführt, während gleichzeitig Teile der medizinischen Versorgung aus dem Leistungskatalog der Kassen gestrichen wurden.

Es kann jeden treffen

Wer heute krank wird, spürt, wie teuer die Gesundheitsversorgung werden kann: Neben Sonder- und verstärkt Zusatzbeiträgen werden zehn Euro pro Quartal beim Arztbesuch fällig, hohe Zuzahlungen für Medikamente, vierzehn Euro pro Krankenhaustag oder etwa zwanzig Euro für sechs Anwendungen Krankengymnastik. Wer einen Zahn verliert, muss erst recht tief in die Tasche greifen, um eine Brücke oder Krone bezahlen zu können. Mit mehreren hundert Euro mindestens muss man beim Zahnersatz rechnen. Bei den frei verkäuflichen Medikamenten und bei Brillen gibt es für die allermeisten Patientinnen und Patienten überhaupt keine Hilfe der Krankenkasse mehr.

Krankheit kann jeden Menschen treffen. Im Krank­heitsfall müssen alle eine umfassende Gesund­heitsversorgung erhalten - unabhängig von ihrem Einkommen. Die Kosten dafür können den einzelnen Menschen stark belasten oder gar überfordern. Das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenver­sicherung soll dies verhindern. Alle Versicherten zahlen entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten unterschiedlich hohe Beiträge und haben dennoch Anspruch auf sämtliche erforderliche Leistungen.

DIE LINKE will diesen solidarischen Charakter erhalten und weiter stärken. Breite Schultern sollen mehr Lasten tragen als schmale. Deshalb streiten wir für die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerver­sicherung. Die Regierung plant dagegen, das Solidarprinzip zu Grabe zu tragen. Union und FDP wollen die Kopf­pauschale – wenn auch schrittweise - und damit eine drastische Umverteilung zugunsten von Besserverdienenden und Arbeitgebern. Schwarz-Gelb hofft, dass die Salami­taktik öffentlich weniger wahrgenommen wird.

Schwarz-Gelbe Pläne
(aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP)

Die Kopfpauschale
: „Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit … einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen.“

Wahlfreiheit für Reiche und Gesunde: „ Beitrag und Leistung müssen in einem adäquaten Verhältnis stehen. Es braucht zudem Anreize für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten.“

Die Arbeitgeber aus der Verantwortung entlassen: „Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest.“

Umverteilung ist nicht neu

Die Weichen für eine Umverteilung der Gesundheitskosten zugunsten der Arbeitgeber wurden bereits durch die Gesundheitsreform 2004 von SPD und Grüne gestellt. Damals wurde ein sogenannter Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozentpunkten eingeführt, den die Versicherten allein zu tragen haben. Das bedeutet für sie eine Einkommenskürzung und für die Unternehmen ein Milliardengeschenk!

SPD und Union setzten diesen Weg mit dem Gesundheitsfonds fort, den es seit Januar 2009 gibt. Die Höhe des Beitragssatzes und damit die Summe im Gesundheitsfonds werden durch die Bundesregierung festgelegt. Derzeit beträgt der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung 14,9 Prozent.

Sofern eine Krankenkasse mit dem ihr zugewiesenen Geld nicht auskommt, kann sie einen Zusatzbeitrag von den Versicherten (Die Arbeitgeber bleiben außen vor!) erheben. Erlaubt sind bis zu acht Euro pauschal („kleine Kopfpauschale“) oder bis zu einem Prozent des Einkommens. Infolge der hausgemachten Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds wurde dies Anfang 2010 für die ersten Kassen Realität, mit der Folge dass Hunderttausende Versicherte die Kassen wechseln wollen. Dadurch ist mit weiteren Kassenfusionen und -insolvenzen zu rechnen. Der Beitragssatz für alle Kassen wird erst angepasst, wenn weniger als 95 Prozent der notwendigen Ausgaben der Kassen durch den Gesundheitsfonds abgedeckt werden.

Nächste Stufe: Kopfpauschale

Die angestrebte Kopfpauschale von Union und FDP löst kein einziges Problem, sondern schafft nur neue Probleme. Alle sollen den gleichen Betrag bezahlen, unabhängig davon, was sie verdienen. Damit entlastet die Kopfpauschale Gutverdienende, während die meisten Beschäftigten sowie Rentnerinnen und Rentner zur Kasse gebeten werden. Die Folge: Menschen mit geringem Einkommen können sich ihre Gesundheits­versorgung kaum mehr leisten. Deshalb soll es einen »Sozialausgleich« durch Steuergelder geben. Er greift aber erst, wenn die Ge­sundheitskosten aus allgemeinen Beiträgen und Zusatzbeiträgen zusammen mehr als 10,2 Prozent des Einkommens der Versicherten betragen. So viel Beitrag war noch nie! Dazu kommt, er ist mit bis zu 30 Milliarden Euro nicht nur unfinanzierbar, sondern bleibt auch unsozial:

Erstens würden bis zu 40 Prozent der Bevölkerung zu Bittstellern beim Staat.

Zweitens bezahlen Menschen mit geringem Einkommen beispielsweise mit der Mehrwertsteuer genau die Steuern, aus denen der »Sozialausgleich« finanziert werden soll - und würden sich so zumindest teilweise selbst subventionieren. Die Besserverdienenden werden auf jeden Fall profitieren: Steuererhöhungen für Reiche schließt die Regierung aus.

Drittens wird der »Sozialausgleich« schnell die Begehrlichkeiten des Finanzministers wecken. Es besteht die Gefahr, dass dann nicht mehr nur bei den Erwerbslosen, Kindern, älteren Menschen oder bei Bildung und Kultur gespart wird, sondern dass zukünftig auch die Kranken ins Visier genommen werden.

Ende der Parität

Der Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung soll künftig bei 7,3 Prozent eingefroren werden. Damit müssen alle zukünftigen Ausgabensteigerungen allein von den Versicherten gezahlt werden. Die Arbeitgeber hingegen werden geschont. Die paritätische Finanzierung wird endgültig abgeschafft.

Bald nur noch Grundversorgung?

Mit sogenannten „Festzuschüssen“ und „Mehrkostenregelungen“ will Schwarz-Gelb durch die Hintertür die Leistungen auf eine Grundversorgung reduzieren. Damit wird die Zwei-Klassen-Medizin endgültig zum Behandlungsstandard. Menschen mit einem mittleren oder geringen Einkommen können sich dann eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung kaum mehr leisten. Das ist das Ende unseres Sozialstaats!

Schwarz-Gelbes Fernziel: Gesundheit als Ware
(aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP)

„Wir wollen, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen grundsätzlich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung findet.“

„Wir wollen die Möglichkeiten ausbauen, dass auch außerhalb des gesetzlich finanzierten Bereichs Gesundheits- und Pflegeleistungen angeboten werden können.“

Ziel ist es die Besserverdienenden dazu zu bringen, dass sie mehr Geld in Gesundheit investieren (Vorbild USA). Die Zerschlagung einer umfänglichen Gesundheitsversorgung für alle ist die Grundlage eines profitreichen Gesundheitsmarktes auf dem die Angst vor schlechter Versorgung die Gewinne in die Höhe treibt. Das führt zu höheren Gesundheitsausgaben bei Besserverdienenden ohne bessere Gesundheitsleistungen und zu sinkenden Gesundheitsleistungen für die Ärmeren.

Gute Versorgung für alle ist also im Interesse sowohl der Ärmeren wie der Reicheren!

Die Alternative:

Die von der LINKEN vorgeschlagenesolidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung schafft eine solidarische Finanzierung, die alle Menschen und alle Einkünfte einbezieht als Grundlage für ein Gesundheitssystem in dem der Mensch und seine Gesundheit im Mittelpunkt steht und nicht der Profit

Eckpunkte unserer Solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung:

  • Alle Menschen, die in Deutschland leben, werden Mitglied.
  • Jede und jeder erhält ab Geburt einen eigenen Krankenversicherungsanspruch.
  • Alle zahlen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und auf Grund aller Einkommen ein
  • Die Beitragsbemessungsgrenze wird angehoben und perspektivisch aufgehoben
  • Die Arbeitgeber zahlen wieder die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge
  • Praxisgebühr und andere Zuzahlungen sowie Zusatz- und Sonderbeiträge werden abgeschafft;
  • Die private Krankenvollversicherung wird abgeschafft
  • Die Bürger/-innenversicherung garantiert für alle Menschen eine umfassende Gesundheitsversorgung unabhängig vom Wohnort, Einkommen, Alter, Geschlecht oder Aufenthaltsstatus

Gesundheit ist keine Ware!


Aus Veröffentlichungen der Linksfraktion im Bundestag

Zusammenstellung: Lutz Dühr