Die Bürger hatten das Wort
Wir in Reinickendorf • 11/2010
Reinickendorf probt direkte Demokratie
Erstmalig hatte die Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gemäß § 42 Bezirksverwaltungsgesetz zu einer Einwohnerversammlung am 3. November in der Humboldt-Bibliothek einberufen.
Auslöser war ein Antrag der CDU-Fraktion vom 14. Januar 2009 (!), das Bezirksamt zu ersuchen, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass der Tegeler Platz vor C&A per Videoaufnahmen überwacht wird.
Chance auf Dialog vertan
Nun, der Amtsschimmel bewegt sich ja bekanntlich oft nur träge, aber wenn zwischen BVV-Beschluss und dessen praktischer Umsetzung fast 21 (!) Monate liegen, muss man wohl von kalkulierter Leistungsverweigerung reden. Es geht immerhin um eine begrüßenswerte Form direkter Demokratie, die offenbar in Reinickendorf noch einiger Übung bedarf.
Die Chance, das für zahlreiche Anwohner offenbar dringende Problem regelmäßiger nächtlicher Lärmbelästigung durch vorwiegend Jugendliche im Bereich U-Bahnhof Alt-Tegel und Tegeler Hafen zu diskutieren und nach geeigneten Antworten zu suchen, wurde leider vertan.
Dies dank einer Reinickendorfer CDU, die auf Panikmache (Anwohner müssten um Leib und Leben fürchten) und Scheinlösungen (Videoüberwachung) setzt. Kritik gab es u. a. an der unzulänglichen Einladungspraxis durch die BVV. Andernfalls wären mehr Bürgerinnen und Bürger erschienen. Von den knapp 100 Anwesenden waren wohl nicht mehr als zwei Drittel wirklich Anwohner. Wollte man die vielleicht gar nicht haben?
Die zuständige Polizeidirektion machte deutlich, dass Tegel kein Kriminalitätsschwerpunkt sei. Dies belege die Statistik. Und die bestehenden Gesetze würden seitens der Polizei angemessen angewandt. Treffen und Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit seien nun mal nicht (mehr) strafbar. Das Sicherheitsempfinden der Menschen sei sehr individuell und letztlich nicht bewertbar. Lösungen müssten und könnten wohl nur auf kommunikativem Wege gefunden werden.
Probleme anders lösen
Tegel als Verkehrsknotenpunkt führt junge Menschen zusammen. Deren sozial-kulturelle Alltagsprobleme und ungesicherte Lebensperspektiven, fehlende Jugendeinrichtungen, aber natürlich besonders Alkohol- und Nikotinmissbrauch sind die eigentlichen Probleme - nicht nur in Tegel. Vielen Teilnehmern war dies durchaus bewusst. So vermisste man im Publikum auch genau die, über die geredet wurde.
Yusuf Dogan, Vorsitzender der LINKEN Reinickendorf, regte deshalb eine weitere Zusammenkunft an, zu der die Jugendlichen offiziell eingeladen werden sollten. Er stellte fest, dass Videoüberwachung einen Eingriff in Grundrechte darstelle und Probleme nicht lösen, sondern verlagern würde.
Unterstützt wurden diese Aussagen vom Vertreter der Straßensozialarbeit (Gangway), der angab, dass in Tegel ca. 40 Jugendliche regelmäßig betreut werden. Seit Januar 2009 hätte sich aber nunmehr sehr viel getan. Reden über Jugendliche ohne Jugendliche sei nicht sinnvoll.
Besser miteinander reden
Konstruktives Ergebnis war der Vorschlag von Jugendstadtrat Senftleben (SPD), eine Gesprächsrunde unter Beteiligung des BA, der Jugendlichen, der Anwohner und der Straßensozialarbeiter anzubieten. DIE LINKE findet: das ist eine erfolgversprechende Möglichkeit, auf kommunikativem Weg und unter demokratischer Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger eine Veränderung der Situation zu erreichen.
Jürgen Schimrock
§ 42 Bezirksverwaltungsgesetz Berlin - Einwohnerversammlung
Zur Erörterung von wichtigen Bezirksangelegenheiten können mit der betroffenen Einwohnerschaft Einwohnerversammlungen durchgeführt werden. Einwohnerversammlungen werden von der Vorsteherin oder dem Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung einberufen, wenn die Bezirksverordnetenversammlung dies verlangt oder der Antrag einer Einwohnerin oder eines Einwohners auf Durchführung einer Einwohnerversammlung von einem Drittel der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung unterstützt wird. Das Bezirksamt kann ebenfalls Einwohnerversammlungen einberufen.