Linke in Reinickendorf

Wir in Reinickendorf • 04/2011

Genau hingeschaut:
Mehr Rot, als man dachte...

100 Jahre Rathaus Reinickendorf - ursprünglich Rathaus von Wittenau - für WiR ein Grund, sich auch mit der Geschichte der Linken in Reinicken­dorf zu beschäftigen.

Man könnte meinen, da gäbe es nicht viel zu erzählen. Schließlich ist doch Reinickendorf eine CDU-Hochburg. Aber dies war einmal an­ders.

So wählten in der Weimarer Re­pub­lik zwischen 50 und 60 Prozent der Rei­nickendorfer linke Parteien - die SPD, die USPD oder die KPD.

Im Kaiserreich wurde das heutige Reinickendorf, dass zum Reichstags­wahl­kreis Niederbarnim gehörte, seit 1890 vom linken Sozialdemokraten und Kriegsgegner Arthur Stadthagen im Reichstag vertreten.

Vom Dorf zum Industriestandort

Wie kam es dazu? Die sechs Gemeinden, die später zu Reinickendorf wurden, waren bis weit ins 19. Jahrhundert Bauerndörfer. 1836 wurde in Hermsdorf eine Ziegelei aufgebaut. 1854 kam eine weitere in Lübars hinzu. So kamen immer mehr kleine Industriebetriebe in das heutige Reini­ckendorf. Ab 1898 siedelte August Borsig seinen Betrieb nach Tegel um. Die Borsig-Arbeiter wurden in einem Teil Dalldorfs (heute Wittenau) angesiedelt, es entstand das heutige Bor­sig­walde .

Diese Industrialisierung führte zu einem Bevölkerungszuwachs, 1925 lebten über 100.000 Einwohner in Reinickendorf. Nach der Eingemeindung nach Berlin und Gründung des Bezirks 1920 war Reinickendorf sozialdemokratisch geprägt.

Aber auch die Kommunisten waren sehr stark. Die Arbeiterparteien hatten von 1921 bis 1933 eine Mehrheit in der Bezirksverordnetenver­samm­lung.

Die Linken im Bezirk

Eine interessante Persönlichkeit in der Bezirksverwaltung war der 2. Bezirksbürgermeister und Stadtrat Alfred Henke (1922-1933). Seit 1912 war er bremi­scher Reichstagsabgeordneter und stimmte 1915 gegen die Kriegskredite. 1917 gehörte er zu den Begründern der USPD, und 1919 war er eines der bei­den Staatsoberhäupter der Bremer Räterepublik.

Auch der Arzt und Sexualaufklärer Max Hodann wirkte in Reini­cken­dorf. Die Weiße Stadt ist das archi­tek­tonische Denkmal der progressiven Architektur, die das Bauen im Berlin der Weimarer Republik ausmachte.

Noch bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 lagen SPD und KPD 13 Prozentpunke vor der NSDAP. Aber die Machtergreifung der Nazis hinterließ auch in Reinickendorf seine Spuren. Doch auch hier gab es Widerstand gegen den Nazi-Terror.

Hans Coppi von der „Roten Kapelle“ besuchte die Reformschule auf der Insel Scharfenberg. Er wohnte in der Laubenkolonie "Am Waldessaum" in Tegel. In den Fabriken Alfred Teves und Stolzenberg, aber auch in anderen Reinickendorfer Industriebetrieben wirkten illegale Widerstands­grup­­pen, die u. a. aus Kommunisten, So­zialde­mo­kraten und Christen bestanden.

Nach dem Krieg wurde Reinicken­dorf wieder von der SPD geprägt. Sie war von 1946 - 1981 die stärkste Partei. Von den neun Bezirksbürger­mei­stern nach 1945 gehörten fünf der SPD an. Erst danach war die CDU eine ebenbürtige bis überlegene politische Gegnerin der SPD.

Michael Rohr