So geht es nicht weiter!

Wir in Reinickendorf • 04/2011

Yusuf Dogan, Vorsitzender der LINKEN Reinickendorf - Gedanken zu einem kleinen Buch, das Mut machen und bewegen soll

Kürzlich hat sich ein älterer Mann zu Wort gemeldet, der dazu aufruft, sich „mehr einzumischen“. Der Mann heißt Stéphane Hessel und ist Franzose. Er ist 93 Jahre alt, Veteran des französischen Widerstands, Überlebender des KZ Buchenwald und Mitverfasser der Menschenrechtskon­vention von 1948.

Sein Buch heißt „Empört Euch“ („Indignez-vous“), ist fünfzehn Seiten kurz. Es ist in unserem Nachbarland das meist verkaufte und gelesene Buch des vergangenen Jahres. Hessel fordert die Menschen auf, die Augen zu öffnen, sich über den Zustand der Welt zu empören und Widerstand zu leisten.

Gegen Unrecht in der Welt

Worüber er sich empört, ist die wachsende Kluft zwischen extremer Armut und extremem Reichtum, die gefährliche Macht der Banken- und Finanzwelt, die Politik Sarkozys und die Einsparungen bei der Rentenreform, ist die Diskriminierung der Roma und Immigranten in seinem Lande, aber auch die menschenfeindliche Blockade des Gazastrei­fens. Das Buch hat beeindruckt - nicht nur mich. Auch in Deutschland steht das Werk bereits auf den Bestseller-Listen. Zu Recht.

Denn auch in Deutschland kann man sich über vieles empören. Da sind beispielsweise die nur fünf Euro betragende Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes oder die Laufzeitver­län­gerung der Atomkraftwerke durch Schwarz-Gelb.

Und in Reinickendorf? Empörend ist die undemokratische Schulpolitik der CDU, die sich, trotz des Wunsches der Mehrheit der Eltern, Schüler und Belegschaft der Hannah-Höch-Schule und der Greenwich-Schule weigert, diese Schulen in eine Gemeinschaftsschule umzuwandeln.

Kritik der Gleichgültigkeit

Hessel stellt in seinem Buch fest, das Schlimmste sei die Gleichgültigkeit vieler Bürger und Wähler. Dem stimme ich zu! Es gibt aber auch Hoffnung. Als angehender Jurist bin ich selbst in jedem Semester mit min­destens einer wissenschaftlichen Arbeit konfrontiert. Daher bin ich froh, dass es zehntausenden Hochschulangehörigen nicht gleichgültig war, dass sich ein Ex-Verteidigungsmini­ster seinen Doktor-Titel erschlichen hat. Und dass heute so viele für die Abschaltung der Atomkraftwerke demonstrieren - endlich wieder.

Und was hat das mit der LINKEN in Reinicken­dorf zu tun? Wir haben nicht alles einfach so hingenommen. Wir haben uns empört und uns eingemischt - und werden das auch weiterhin tun.

Anderen Mut machen

Ich erkenne auf diesen fünfzehn Seiten von Stéphane Hessel meine eigenen Empörungen über viele aktuelle Vorgänge in der Welt wieder. Deshalb möchte ich der Aufforderung Hessels folgen. Hessel sagt: „Neues schaffen, heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten, heißt Neues schaffen.“ Und auch ich möchte anderen Mut machen, sich einzumischen, ihre Interessen politisch zu vertreten - in Reinickendorf, in Deutschland, überall auf der Welt.

Der Bezirksvorsitzende der Reini­ckendorfer LINKEN hat seine Gedanken auf dem Jahresempfang der LINKEN mit Stefan Liebich, MdB, am 11. März 2011 dargelegt. Sie wurden für „WiR“ leicht bearbeitet.

Wir leben in einer schrecklich ungerechten Welt. Dagegen sollten wir uns empören. Denn ein universeller Grundwert ist soziale Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist vielleicht die einzige wirkliche Hoffnung für die Welt.

Die Zukunft gehört der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung der unterschiedlichen Kulturen. Das ist der nächste Schritt, den die Menschheit wird tun müssen.

Vielleicht wächst die Erkenntnis, dass Demokratie nicht durch Krieg entstehen kann...

Am schlimmsten ist es, wenn man sagt: „Damit habe ich nichts zu tun. Das ist mir egal.“

Wenn die Grundwerte durch irgendwelche Mächte, seien es politische, wirtschaftliche oder finanzpolitische, verletzt werden, vergewaltigt, dann hat man nicht nur das Recht, sondern man hat die Pflicht, Widerstand zu leisten.

Wir müssen Alternativen suchen, andere Ansätze im politischen Denken und Handeln finden, Visionen entwickeln. Das ist eigentlich die Botschaft meines kleinen Buches.“

Stéphane Hessel in „Empört Euch“ und in „Neues Deutschland“, 12./13.2.2011