Wenn die Bürger mitreden dürfen

Wir in Reinickendorf • 03/2012

Kommt der Bürgerhaushalt auch in Reinickendorf?

Politische Projekte haben kein Copyright. Der „Bürgerhaushalt“ auf Be­zirksebene ist seit langem eines der Berliner LINKEN. Es wurde 2007 zuerst in Lichtenberg, später auch in anderen Bezirken umgesetzt. Die Piratenpartei hat das Thema im Februar auf die Tagesordnung der BVV Reinicken­dorf gesetzt. Die Debatte zu der Großen Anfrage verlief kontrovers, doch nur die CDU-Fraktion lehnt diese Möglichkeit von mehr Bürgerbeteiligung im Bezirk ab.

WiR sprach mit der stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin von Lich­tenberg Christina Emmrich (DIE LINKE).

Christina, der Bürgerhaushalt in Lichtenberg geht schon in das siebente Jahr. Wie funktioniert er und wie hat er sich entwickelt?

„Unser“ Bürgerhaushalt verändert sich nahezu jährlich, weil nach jedem Durchgang evaluiert wird. Wir haben drei Beteiligungswege: Inter­net, Stadtteilversammlung und Haus­hal­teab­stimmung. Alle drei sind gleichberechtigt.

 Im Jahr 2007 haben sich 4 048 Lichtenberger/innen beteiligt, im vergangenen Jahr waren es 10 479.

Begonnen haben wir ausschließlich mit der Debatte zu den freiwilligen Leistungen, inzwischen sind auch die Investitionen hinzugekommen. Im vergangenen Jahr wurden Vorschläge, für die das Land zuständig ist, in die Votierung einbezogen.

Auf welche Art und Weise spricht die BVV die Bürger an, wie wird informiert, wie ist der Rücklauf aus der Bürgerschaft organisiert?

Bisher fühlte sich eher das Be­zirksamt als die BVV für den Bürger­haushalt zuständig. Die BVV beschließt jährlich eine Rahmenkon­zeption, in der der Ablauf geregelt ist. Für die Umsetzung sorgen die Verwaltung und vor allem die Stadtteilzen­tren. Informationen gibt es über die Presse, Publikationen, Wohnungs­bau­gesellschaften und -genossen­schaf­ten und auf der Internetseite.

Seitens der CDU taucht der Vorwurf auf, der Bürgerhalt würde Bürgernähe nur vortäuschen, die Luft wäre in den BVVen sowieso raus...

Ich weiß nicht, wie viel Luft die BVV Reinickendorf hat. Es geht um die Beteiligung der Bewohnerschaft an der Verwendung der Finanzmittel. Nicht alles sind gesetzliche Aufgaben. Also gibt es keinen Grund die Bürger/innen außen vorzulassen, wenn es um Grünflächenpflege, Bibliotheken, Musikschule, Kultureinrichtungen u. a. mehr geht.

Du hast das Berliner Modell andern­orts vorgestellt...

Ich habe in großen und kleinen Städten über unsere Erfahrungen berichtet. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Meine feste Überzeugung ist: Zu allererst ist es eine „Kopffrage“, ob ich die Bewohner/innen einer Stadt, einer Kommune oder eines Bezirkes an der Aufstellung des Haus­haltes beteiligen will. Lasse ich mich darauf ein, dass sie am besten wissen, was dem Bezirk gut tut und nutze dies für die Entwicklung oder weiß ich es selbst am besten. Dann brauche ich natürlich keine Beteiligung.

Warum kam denn die Idee des Bürg­erhaus­halts in die Welt, geht es weiter? Was ist zu verbessern?

Die Ursache, auf der diese Idee beruht, war in Porto Allegro (Brasilien) die Korruption bei der Verwendung der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel. In Deutschland ist die wachsende Erkenntnis, dass die Bewohner/innen in die Gestaltung ihrer Lebensbedingungen einzubeziehen sind, die „Triebkraft“. Ich bin ziemlich sicher, dass zunehmend mehr Menschen sich für dieses Thema interessieren und von der Politik einfordern werden.

Zu verbessern gibt es viel. Bei uns sind es vor allem die Abrechnung der Umsetzung der Vorschläge, die Einbeziehung junger Familien, die Beteiligung insgesamt.

Hast Du eine Empfehlung für die Piraten, sind Bündnisse nötig?

Ich kann nur zu Bündnissen raten. In Lichtenberg ist der Bürger­haushalt als „Allparteienprojekt“ entstanden. Das hat sich bis heute jedemfalls bewährt.

Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg.