Elektro oder Gas, das ist hier die Frage...

Wir in Reinickendorf • 05-06/2012

Senat will Gaslaternen verschwinden lassen - Petition soll dies verhindern

Geht es Ihnen auch so? Wenn Sie abends von einer Reise kommen und sehen die erste gasbeleuchtete Straße funkeln, dann fühlen Sie sich wieder zuhause?

Knapp 44 000 Gasleuchten gibt es noch in Berlin, mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Und Frohnau, Hermsdorf und Waidmannslust bilden das weltweit größte zusammenhängende Gaslichtgebiet.

Noch, muss man leider sagen, denn das „Lichtkonzept“ des Senats sieht einen nahezu vollständigen Abbau dieses einmaligen Kulturgutes vor. Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU sind immerhin als Ausnahmen „denkmalgeschützte Gaslaternen“ genannt. Ein gefährlicher Begriff, denn bis dato sind überhaupt keine Gaslaternen denkmalgeschützt, andererseits ist er  gestaltungsfähig; das Landesdenkmalamt arbeitet z.Zt. gemeinsam mit dem Verein Gaslicht-Kultur an Schutzgebieten.

Viele verschiedene Typen

Alle vier Grundtypen der Berliner Gasleuchten finden wir auch bei uns in Reinickendorf: 

  • die 1893 eingeführte Modell-Leuchte, im Volksmund als Schinkel-Leuchte bekannt, in Alt-Hermsdorf, Alt-Lübars, und Alt-Tegel, hier sogar teilweise auf repräsentativen mehrarmigen Kandelabern,
  • die um 1905 eingeführte Hängeleuchte in der Tegeler Schloßstraße, Alt-Reinickendorf, sowie nördlich der Tessenowstraße in Wittenau,
  • die in den 20er Jahren entwickelte Aufsatzleuchte, mit Abstand häufigster Typ in vielen Nebenstraßen,
  • sowie die seit den 50er Jahren in verkehrsreicheren Straßen aufgestellte Reihenleuchte an gebogenen Ausleger- oder Peitschenmasten, z.B. in der Dianastraße in Waidmannslust.

Und als Reinickendorfer Spezialität ist auf dem Ludolfingerplatz in Frohnau ein Sondertyp zu finden: Die Schwechten-Leuchte, entworfen vom  Architekten der Gedächtniskirche.
Sie alle verkörpern authentisch Industrie- und Stilgeschichte von der wilhelminischen Zeit über die Neue Sachlichkeit bis zur Nachkriegs-Moderne. Und vor allem: Unabhängig von der äußeren Form ist ihnen gemeinsam das klare lebendige Licht, farbecht, blendfrei und insektenfreundlich und in seiner Wirkung bisher durch keinen Imitationsversuch erreicht. Deshalb können auch elektrisch betriebene Nachbildungen die Wohlfühl-Atmosphäre gasbeleuchteter Straßen, Plätze und Ensembles nicht ersetzen.

Kosten- und Umweltgründe werden ins Feld geführt, um das Gaslicht in Berlin insgesamt abzuschaffen.

Fragwürdige Begründungen

Kostengründe? Es wird sehr viel ausgegeben zu tatsächlicher oder vermeintlicher Verschönerung und Attraktivitätssteigerung der Stadt. Aber auch mit noch so energiesparender Technik ist es in jedem Fall teurer und energieintensiver, ein Gebäude anzustrahlen, als es nicht anzustrahlen. Man tut es dennoch, und zwar in stetig steigendem Umfang -  um zu gestalten. Wenn „Gestaltungsausgaben“ irgendwo angebracht sind, dann jedenfalls für den Fortbestand der 185järigen Alltagskultur des Gaslichts.

Pluspunkt Nachhaltigkeit

Umweltgründe? Erdgas ist Primärenergie, muss also nicht, wie Strom,   erst erzeugt werden. Verbrauchte Gas-Glühstrümpfe zerfallen zu Staub, während verbrauchte Elektoleuchtkörper giftigen Sondermüll bilden. Biogas-Technologie könnte, wäre es politisch gewünscht, eine neue Perspektive für die Gasbeleuchtung eröffnen. Und wenn Sie sich einmal die Masten von Gaslaternen ansehen, werden Sie häufig auf Bündelpfeilermaste treffen, großenteils noch aus dem 19. Jahrhundert stammend und bis heute in Funktion. Ein deutlicheres Beispiel für Nachhaltigkeit als eine solche Langlebigkeit von Gebrauchsgütern dürfte schwer zu finden sein.

44 000 neue E-Leuchten heißt auch genau so viele neue Baustellen. Wie es „nachher“ aussehen soll, können Sie u.a. bereits in Teilen der Frohnauer Straße in Hermsdorf besichtigen: Graue Neonlicht-“Striche“ statt goldglänzender „Sterne“. 

Ob dies nun tatsächlich zum traurigen Normalfall wird, hängt auch davon ab, ob wir Bürgerinnen und Bürger es hinnehmen. Die Reinickendorfer BVV hat übrigens beschlossen, dem Bezirksamt zu empfehlen, sich für den Erhalt der gasleuchten einzusetzen.

Christian Sperling

Reinickendorfer Gaslaternen