Ein Jahr im Abgeordnetenhaus

Wir in Reinickendorf • 11-12/2012

Hakan Taş - MdA / Fraktion DIE LINKE

Hakan, du bist jetzt seit einem Jahr Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Wie bewertest du diese Zeit?

Es ist natürlich eine völlig neue Erfahrung. Ich bin zwar seit 30 Jahren in Gewerkschaften, Nicht-Regierungs-Organisationen und auch in der Partei DIE LINKE aktiv, aber die Tätigkeit als Abgeordneter stellt mich natürlich vor neue Herausforderungen.

Bevor wir zu den Inhalten kommen, welche Politikbereiche musst du abdecken?

Ich bin „Partizipations- und flüchtlingspolitischer Sprecher“ der Fraktion. Das war und ist meine Kernaufgabe. Ich musste beispielsweise aber auch die Fraktion im Verfas­sungs­ausschuss vertreten.

Zu Zeiten der NSU-Affäre eine wichtige Aufgabe...

In der Tat, das skandalöse Verhalten der Behörden und der politischen Führung kann man dort hautnah miterleben.

Auf dem rechten Auge blind

Bleiben wir beim Thema Rechtsex-tremismus/Rassismus. Wie schätzt du die letzten Entwicklungen ein?

Als gutwilliger Mensch konnte man bezüglich der Vergangenheit ja noch von „Blindheit auf dem rechten Auge“, „mangelnder Sensibilität gegenüber den Migrantenkommu­ni­ties“ oder auch „mangelnder interkultureller Kompetenz“ sprechen. Was aber nach Aufdeckung der rassistischen Morde durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ge­schehen ist, spottet jeder Beschreibung. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da noch einiges mehr dahintersteckt und dies aus Staatsräson vertuscht wird.

Wie ist das zu verstehen?

Das ist nur ein Gefühl, aber ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, dass man auf politischer Ebene hinnimmt, dass weiterhin gelogen wird und beispielsweise Akten vernichtet werden.

Institutioneller Rassismus?

Was sagst du zum Vorwurf des „institutionellen Rassismus“?

Dem stimme ich zu, es bedarf aber einer Erläuterung. Dieser Vorwurf meint nicht, dass die in den Institutionen tätigen Personen bewusst rassistisch sind, sondern bezieht sich auf die objektive Grundhaltung.

Konkret bedeutet das…

Wenn mehrere türkeistämmige Geschäftsleute ermordet werden, gehen die Behörden wie selbstverständlich von Drogenkriminalität und mafiösen Strukturen aus. Es werden sogar vorhandene Indizien, die in Richtung Rechtsextremismus weisen, ignoriert. Hier werden unterschiedliche Maßstäbe gesetzt.

Es sind ja auf Landes- und Bundes -ebene Untersuchungsausschüsse tätig. Glaubst du an eine vollständige Aufdeckung aller Hintergründe?

Ich kann es leider nur hoffen. Ganz überzeugt bin ich nicht, zumal in Berlin die SPD den Eindruck erweckt, dass sie eher am Wohlergehen des Koalitionspartners CDU inter­essiert ist.

Proteste der Flüchtlinge

Kommen wir zu deinem originären Tätigkeitsbereich, der Integrations- und Flüchtlingspolitik...

Auch hier haben wir ja aktuelle Probleme, unter anderem die Proteste der Flüchtlinge, der Asylsuchenden in Berlin. Zwar haben alle möglichen verantwortlichen Politikerinnen und Politi­ker die Zelte am Brandenburger Tor besucht, aber Lösungen sehe ich noch nicht. Besonders ärgerlich ist das Verhalten der Berliner Polizei, die sich auf Formalien beruft und den Leuten bei den aktuellen Temperaturen sogar ihre wärmenden Decken wegnimmt.

Was kann das Land Berlin machen?

Zum einen natürlich das Verhalten der Polizei kritisieren und dort eine Veränderung herbeiführen. Zum anderen ist die Versorgung mit Wohnraum, mit Bildungs- und Gesund­heits­leistungen Landessache. Der Berliner Senat ist am Zuge.

Partizipation im Fokus

Zuletzt noch zur Partizipationspolitik, warum nicht Integrationspolitik?

Unabhängig davon, dass unter Integration jeder was anderes versteht, ist das Ziel der LINKEN, den Menschen mit Migrationshintergrund gleiche Rechte und Möglichkeiten in unserer Gesellschaft, also Partizipation, zu ermöglichen, .

DIE LINKE hat ja mit der SPD gemeinsam die letzten zehn Jahre in Berlin gestaltet und auch die zuständigen Senatorinnen gestellt...

Richtig, in dieser Zeit haben wir einiges bewegt. Wir haben eine Se­nats­verwaltung für Integration und als erstes Bundesland einen Inte­grati­onsbeirat auf Senatsebene eingerichtet, dessen migran­tische Mit­glie­der nicht ernannt, sondern von den Migran­ten­organisa­ti­o­nen selbst gewählt werden.

Bundesweit Maßstäbe gesetzt

Auch das durch DIE LINKE initiierte Partizipations- und Integrationsgesetz war bundesweit das erste, hat somit Maßstäbe gesetzt. Gerade dieses Gesetz hat viele Beteiligungsrechte dieser Bevölkerungskreise in Berlin festgelegt, die interkulturelle Öffnung der Berliner Verwaltung festgeschrieben, die Bestattung nach islamischen Regeln ermöglicht.

Welche Schwerpunkte siehst du für das kommende Jahr ?

Wir müssen weiter für die Aufklärung der Hintergründe des behördlichen Versagens bei den NSU-Morden sorgen, die Berliner Verantwortung herausarbeiten und benennen. Als zweites müssen wir dazu beitragen, dass die berechtigten Forderungen der Flüchtlinge umgesetzt werden. Und wir müssen darauf achten, dass die Vorgaben des Partizipations- und Integrationsgesetzes zielgerecht um­gesetzt werden.

Direktkandidat für den Deutschen Bundestag

Die Mitgliederversammlung der LINKEN Reinickendorf wählte am 24. November 2012 den Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus für Partizipation und Flüchtlinge Hakan Taş einstimmig zum Direktkandidaten für den Deutschen Bundestag.

Hakan Taş- 1966 in der Türkei geboren, lebt seit 1980 in Berlin.

Beginn des politischen Engagement 1983 als Jugendvertreter, dann als Betriebsrat und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft, Schwerpunkte Arbeitsrecht und Teilhabe von Mig­ran­ten und Mig­ran­tinnen am politischen Alltag; Tätigkeit als redaktioneller und freier Mitarbeiter für den RBB, jetzt freier Autor; seit 25 Jahren ehrenamtlich in diversen Organisationen aktiv, u. a. als Vertreter von Migran­tInnen­or­ga­nisationen; Mitglied im Landesbeirat für Integration und Migration, dort stellvertretender Vorsitzender; seit 2011 Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied der LINKEN Reinickendorf.