Begegnung mit Erich Kästner

Wir in Reinickendorf • 07-08/2014

im Lese-Kabinett des Heimatmuseums

Das zum Jahresbeginn eingerichtete Lese-Kabinett im Reinickendorfer Heimatmuseum lädt seit dem 30. April zu einer Ausstellung über Erich Kästner ein, der vor 40 Jahren, am 29. Juli 1974 in München, verstarb. Nicht von ungefähr reiht sich die Reinickendorfer Ausstellung in die diesjährigen vieler orten veranstalteten Ausstellungen und Ehrungen ein. Der am 23. Februar 1899 in Dresden Geborene lebte von 1964 bis 1969 in Hermsdorf. Somit Anlass für ein besonderes Gedenken in unserem Bezirk und ein Angebot, sein Werden, Wachsen und Wirken näher kennenzulernen.

Ich folgte der Einladung. Beim Betreten des mit wunderschönen originalen Biedermeier Möbeln eingerichteten Lese-Kabinetts wird mein Blick sofort auf einen kleinen Tisch gelenkt, auf dem eine alte Schreibmaschine, Marke „Triumph Durabel“ steht. Eingespannt ist ein leeres weißes Blatt und daneben ein Gedicht zur Abschrift bereitgelegt. Überschrieben mit: „Fantasien von Übermorgen“. Es wurde im 1929 erschienenen Lyrikband „Ein Mann gibt Auskunft“ veröffentlicht. Dessen erste Strophe: „Und als der nächste Krieg begann, da sagten die Frauen: Nein! und schlossen Bruder, Sohn und Mann fest in der Wohnung ein“, stimmte mich sogleich auf den politisch interessierten und Partei ergreifenden Schriftsteller und Mahner Erich Kästner ein. Bereits in seinen ersten Veröffentlichungen prangerte er Militarismus, Krieg und Unrecht an, verspottete er Spießertum und blinden Gehorsam. Den in seiner Kindheit und Jugend erworbenen kritischen Blick auf das Geschehen um ihn bewahrte er ein Leben lang.

Eine hinter dem Tisch aufgestellte Schauwand zeigt ein Gedicht, dessen letzte Zeile der Ausstellung als Motto dient: „Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter“. Weil ich sie als sehr exemplarisch für Erich Kästner empfinde, gebe ich hier dessen letzte Zeilen wieder:

Ich setze mich gerne zwischen Stühle.
Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind und bepflanze sie mit Witzen.

Auch ich muß meinen Rucksack selber tragen!
Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiter.
Zusammenfassend läßt sich etwa sagen:
Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.

Im Raum rechts und links neben dem Eingang sind große Schriftbänder angebracht, die neben den Lebensdaten von Erich Kästner an weitere 6 Persönlichkeiten erinnern, die einstmals in unserem Bezirk gelebt und gewirkt haben: der expressionistische Dichter Oskar Lörke, der Kunsthistoriker und Schriftsteller Carl Einstein, der Marinemaler und Illustrator der Kaiserzeit Willy Störer, die Maler Max Beckmann und Max Grunewald und die Graphikerin und Collage-Künstlerin des Dadaismus Hannah Höch.

Leben und Werk Erich Kästners werden mir in Wort, Schrift und Ton vorgestellt. Im Raum aufgestellte Tafeln sind jeweils mit einem Motto überschrieben, das sich auf die Lebens- und Schaffensperiode dieser Jahre bezieht. Neben Auszügen aus seinen verschiedenen Werken finden sich dort auch Zeichnungen seines Illustrators Horst Lemke. Diese kommen ebenso spöttisch, kritisch und doch auch wieder humorig-freundlich daher. Beginnend mit „Als ich ein kleiner Junge war“ - wie auch der Titel seines autobiographischen Buches - die Zeit von 1899 bis 1918 betreffend, folgen seine Leipziger Studienjahre 1919 bis 1927, der Berliner Aufenthalt von 1927 bis 1933 sowie die Jahre 1933 bis 1945; diese unter dem Motto „Verboten in einer kaputten Zeit“. Weitere Tafeln zur Nachkriegszeit, sowie thematisch gefasst zu seinen Kinderbüchern und zur kabarettistischen Arbeit. Den Abschluss bildet eine Tafel mit Kommentaren von Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Luft und Rudolf Walter Leonhardt, überschrieben mit „Ein augenzwinkernder Skeptiker“.

Der im Jahr 1934 erreichte Höhepunkt seines schriftstellerischen Schaffens - im Zeitraum 1927 bis 1933 verfasste er zahlreiche Reportagen, Gedichte, Glossen, Rezensionen sowie die noch heute sehr bekannten und beliebten Kinderbücher - verschafften ihm einen hohen Bekanntheitsgrad weit über die Grenzen Berlins hinaus. Der Machtantritt Hitlers und sein faschistisches Regime unterbrachen diese erfolgreiche Periode abrupt. Wegen seiner Kritik am Krieg und an sozialer Ungerechtigkeit waren auch Bücher von ihm dabei als am 10. Mai 1933 auf dem Platz gegenüber der Berliner Universität - der heutige Bebel-Patz - Bücher humanistischer Schriftsteller verbrannt wurden. Doch Im Unterschied zu vielen anderen Schriftstellern, die ihre Heimat verließen, blieb er in Nazi-Deutschland um, wie er später erklärte, als „Zeitzeuge“ zu bleiben. Zweimal, 1933 und 1936, wurde er verhaftet, doch da ihm nichts nachgewiesen werden konnte, wurde er nicht weiter verfolgt. Im Mai 1942, kurz vor seinem 43. Geburtstag wurde in der ausländischen Presse irrtümlich sein Tod mitgeteilt und auch ein Nachruf veröffentlicht.

Da Erich Kästner bereits Anfang der 30er Jahre erfolgreich erste Versuche im Filmgeschäft gestartet hatte, ermöglichte ihm dies, in der Nazizeit unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ (an B.B. = Bertolt Brecht erinnernd?) den Text für den mit Hans Albers so erfolgreich gewordenen Film „Münchhausen“ zu verfassen. Nebenbei bemerkt: Es heißt, Erich Kästner ist der bis heute meist verfilmte deutsche Autor.

Seine Jahre in Berlin-Hermsdorf sind überschrieben mit „Am Waldsee“. Er lebte hier in der Parkstraße, gegenüber dem See, von 1964 bis 1969 mit seinem Sohn Thomas und dessen Mutter. Thomas besuchte auch hier die Schule; in der sich übrigens heute das Reinickendorfer Heimatmuseum befindet. Zu dieser Zeit hatte sich Erich Kästner aber schon fast völlig vom aktuellen Literaturbetrieb zurückgezogen. Er war von der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik sehr enttäuscht, resignierte und kränkelte. Als er In Hermsdorf seinen 70. Geburtstag feierte, sollte das zugleich sein Abschied von Berlin, vom Sohn und seiner Partnerin werden.

Nach dem 2. Weltkrieg war Erich Kästner zunächst voller Hoffnung und Optimismus und setzte sich aktiv für eine humanistische Bildung und Erziehung ein. Doch schon bald enttäuschte ihn die gesellschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands. Er gewann den Eindruck, dass die Nachkriegsgeneration durch Skepsis, Pessimismus und der Anstrengung, zynisch zu sein, charakterisiert sei, eine Generation, „die an nichts mehr glaubt“. Er selbst jedoch engagierte sich. In Reden und Vorträgen wandte er sich gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands, war aktiv in der Anti-Atom-und in der Ostermarsch-Bewegung und verurteilte den Vietnamkrieg.

Die vorhandene Video- und die Rundfunkaufnahme des WDR aus dem Jahre 1967 geben seine bittere Enttäuschung wieder. In einem Mitschnitt der Sendung „Zur Nacht“ ist er mit seinem Gedicht „Kennst du das Land, wo die Kanonen blüh'n?“ zu hören. Dieses Gedicht hatte er 10 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges geschrieben. Mit starken Worten attackierte er darin die herrschende Politik sowie die in Deutschland geförderte und vorherrschende Mentalität zu Spießertum und Militarismus. Befolgt wird, was befohlen wird, ohne nachzudenken: “Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.“ Das Gedicht erregte heftige Kritik, die im Vorwurf „Vaterlandsverrat“ gipfelte. Und wenn er das Gedicht im Jahr 1967 wiederum vortrug, so sah er sich erneut veranlasst, die gesellschaftspolitische Situation in der Bundesrepublik zu attackieren. Seine Skepsis und Enttäuschung gibt auch ein ebenfalls im Jahr 1967 aufgenommenes Tondokument wieder. Es ist ein Gespräch vor seinem 88. Geburtstag mit dem Journalisten Rudolf Walter Leonhard. Erich Kästner antwortete ihm auf die Frage: „Was kann ein Schriftsteller heute tun?“: „Soll ich mich wieder über Dinge aufregen, über die ich mich seit 1925 aufrege? Ich will mich nicht immer über dieselben Dinge ärgern lassen. Ärgern über die Wiederholung der Geschichte? Noch mal ärgern hoch drei reicht. Nicht aber noch einmal darüber schreiben hoch drei!“

Was nehme ich mit von meinem Besuch bei Erich Kästner? Vor allem dies: Er war ein politisch sehr interessierter und engagierter Schriftsteller, Poet und Drehbuchautor, der mit seiner zeitkritischen Satire für Humanismus, Pazifismus und Antimilitarismus stritt. Spießertum, Militarismus und Faschismus waren seine Hauptfeinde. So erschließt er sich mir nicht nur als der noch heute besonders beliebte und bekannte Autor fröhlicher Kinderbücher, sondern ebenso als politisch urteilender und streitender Zeitgenosse. Und, sind seine Mahnung und Warnung nicht heute noch aktuell?

Abschließend noch diese Empfehlung von Erich Kästner: „Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“

Die sehr empfehlenswerte Ausstellung ist noch bis zum 7. September zu besichtigen.

LiLo Joseph