Bürgerinitiative „Altes Wasserwerk Tegel“

Wir führten kürzlich ein Interview mit Carlo und Regina von der Bürgerinitiative „Altes Wasserwerk Tegel“. Diese gründete sich, nachdem das Gelände des Alten Wasserwerks Tegel in der Trettachzeile im Jahr 2016 zum Verkauf stand und ein Investor sich anschickte, das denkmalgeschützte Ensemble für Wohnbebauung im Luxussegement zu zerstören. In Gefahr sind dabei auch Existenzen: Die Motorradwerkstatt "Pfiffikus" soll den Baggern weichen. Sie berichteten uns über Ihre herausfordernde Geschichte, die angestrebte Zukunft der Anlage und wie sie einer Gruppe obdachloser Menschen Hilfe bietet.

Wie und wann hat sich die Bürgerinitiative gegründet?

Nachdem im Jahr 2016 ein Investor aus Nürnberg das „Alte Wasserwerk Tegel“ gekauft hatte, setzten wir uns mit den Nachbarn zusammen und suchten Möglichkeiten, etwas gegen die Umbaupläne zu unternehmen. Dabei wurde die Bürgerinitiative gegründet.

Wie viele Personen sind an der Bürgerinitiative beteiligt?

Das lässt sich heute nicht mehr genau beziffern. Am Anfang war es ein Verbund aus Mietern, daraus entstand eine berlinweite Vernetzung mit vielen Unterstützern.

Welche Mittel hatte die Bürgerinitiative um gegen die Pläne des Investors vorzugehen und was waren die ersten Schritte?

Zu Beginn war es für uns Neuland. Wir haben viele gelernt und uns informiert. Zu Beispiel was den B-Plan, also den Bebauungsplan, betrifft. Daraus ergaben sich dann für uns die Möglichkeiten, gegen den Investor, die Project Immobilien Berlin, anzugehen. Die Informationsbeschaffung dauerte einige Zeit aber wir haben dann recht schnell auch Unterstützung von Fachleuten bekommen. Hieraus ergaben sich die Fakten um den Denkmalschutz. Es war u.a. geplant die Werkstatt „Pfiffikus“ abzureißen. Doch das konnte abgewendet werden, da wir über das Landesdenkmalamt erreichen konnten, dass ein Abriss nicht mehr in Frage kommt. Außerdem gab es strittige Ansichten über den Wald auf dem Gelände, der angeblich kein Wald sei. Über u.a. NABU konnte festgestellt werden, dass es sich um ein Waldgebiet handelt. Diese Punkte halfen, dem Investor seine Pläne zu erschweren. Es war ein langer Lernprozess aber wir sind glücklich, dass wir Fachleute gefunden hatten, die uns sehr unterstützen.

Der Wald auf dem Gelände wurde angesprochen. Bürokratisch stand ein sogenanntes „Waldverdachtsgebiet“ im Raum. Was macht einen Wald, zu einem Wald?

Ein Wald muss bestimmte Kriterien erfüllen. Er muss eine bestimmte Größe bzw. Fläche besitzen. Außerdem spielt der Bewuchs eine große Rolle. Die Pflanzen und Bäume, die dort wachsen, sind letztendlich die entscheidenden Faktoren. Durch die Berliner Forsten wurde bestätigt, es handelt sich um eine anerkannte Waldfläche. Das Bezirksamt war dem Investor stets recht zugetan, das wurde rund um den Bebauungsplan immer wieder deutlich. So erkennt man nun den Wald zwar als solches an, will aber erlauben, dass er in eine parkähnliche Fläche umgewandelt werden kann. Ein Großteil muss erhalten bleiben, Veränderungen dürfen demnach trotzdem stattfinden.

Die Werkstatt „Pfiffikus“ auf dem Gelände war ebenso in Gefahr?

Das Gebäude sollte ursprünglich abgerissen werden. Das Landesdenkmalamt hat aber interveniert und so ist dies vom Tisch. Der Investor musste daraufhin komplett umplanen. Das war für uns persönlich ein großer Erfolg, dass die Werkstatt gerettet werden konnte.

Es wurden im Zuge der Gutachten auch Bodenbelastungen festgestellt?

Sehr früh, Ende 2017, wurden schon erhöhte Schadstoffbelastungen erkannt. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hatte daraufhin den Bezirk aufgefordert, weitere Untersuchungen vorzunehmen, weil so ein Wohnungsbau gar nicht möglich ist. Der Bezirk reagierte hierauf nicht. Mitte 2020 stellte sich dann immer mehr heraus, dass die Bodenbelastungen wesentlich größer sind und im vorderen Anlagenbereich, eine Bebauung gar nicht mehr machbar ist. Ende Februar steht eine erneute Bodenuntersuchung an. Angekündigt wurden seitens der Hausverwaltung langfristige Untersuchungen. Bis überhaupt klar ist, inwiefern gebaut werden kann und darf, wird noch viel Zeit vergehen.

Wie ist der Stand der Sanierung der Bestandsbauten auf dem Gelände des „Alten Wasserwerk Tegel“?

Wir sind wohl die Mieter, der stadtweit bekannten Schimmelwohnung. Unsere Wohnung war über Jahre massiv verschimmelt. Das Dach ist mittlerweile komplett neu auf dem Gebäude. Es war allerdings so marode, dass zwischenzeitlich ein Statistiker prüfen musste, ob Einsturzgefahr besteht. Die Wohnungsaufsicht war der Ansicht, der Schimmelbefall sei Mieterschuld und auf Lüftungsfehler zurück zu führen. Dabei lag ein Gutachten von uns mit allen aufgeführten Baumängeln vor. Leider geben die Wohnungsaufsicht und der Bürgermeister bis heute nicht zu, dass ihre Ansicht nicht der Wahrheit entsprochen hat. Der Investor hatte also das Dach und die Fassade saniert. Hier sind jedoch auch Baumängel aufgetreten und neue Feuchtigkeitsschäden sind aufgetaucht. Die Dämmung erfolgte nur 60 cm tief, obwohl die Unterkellerung vier Meter tief reicht.

Was unsere Schimmelwohnung betrifft, wurden wir im August 2018 in eine leerstehende, unsanierte Wohnung umgesetzt, die sich über unserer Wohnung befindet. Für den Umzug hatten wir gerade einmal ohne Vorankündigung fünf Stunden Zeit. Die Sanierung unserer Wohnung sollte 14 Wochen dauern, doch tatsächlich leben wir heute immer noch in der Ausweichwohnung. Die Sanierung ist nach wie vor nicht abgeschlossen. Stromleitungen wurden vergessen neu zu ziehen, die Wechselsprechanlage ist verschwunden, Heizkörper sind undicht und durch die neue Feuchtigkeit in den Wänden, platzt schon wieder die Farbe ab. Der Investor bemüht sich nicht. Es ist katastrophal.

Unsere Möbel und persönlichen Dinge sollten fachgerecht gereinigt, desinfiziert und eingelagert werden. Was passierte ist aber, dass jegliches Hab und Gut im Schiffcontainer verfrachtet wurde und so seit Monaten im Hof steht. Die handgemalten Bilder meines verstorbenen Vaters wurden unsachgemäß in Pappkartons gepackt und haben natürlich wie alles Schaden genommen. Es geht hier nicht nur um Sachschaden, persönliche Erinnerungen von hohem ideellem Wert wurden zerstört. Man bot uns eine Entschädigung von 10.000 EUR an. Doch wir lassen uns das nicht gefallen und haben anwaltliche Hilfe eingeschalten. Wir wollen endlich zurück in unsere Wohnung. Besuch können wir so nicht empfangen und das ist schade, da wir eine große Familie haben. Unser Humor hilft uns zwar durch diese Zeit aber es ist doch sehr belastend.

Gab es durch die jahrelange Schimmelbelastung gesundheitliche Auswirkungen?

Wir sind morgens oft mich tränenden Augen aufgewacht. Auch gab es Auswirkungen auf die Lunge, nachdem wir selbstständig Schimmel entfernten, auf die eine Lungenentzündung folgte. Seit wir in der Ausweichwohnung leben, geht es und besser, obwohl auch diese Wohnung nicht schimmelfrei ist. Langzeitfolgen können wir bis jetzt nicht abschätzen.

Der Investor wollte die Anlage dann doch aufgeben und zurück verkaufen. Wie ist der Stand heute?

Von Anfang an haben wir dem Investor angeboten, das Grundstück abzukaufen und gemeinorientiert zu entwickeln. Dies wurde stets abgelehnt. Doch nach einer Reportage über die Trettachzeile von ARD hörten wir, das der Investor doch ein Interesse hat, mit uns in Verhandlung zu treten und ein Kaufangebot der Bürgerinitiative wohlwollend prüfen zu wollen. Darauf hin haben wir versucht etwas Druck zu machen und eine Verhandlung angestrebt. Es zog sich noch lange hin, doch Ende 2019 haben wir ein Kaufangebot gemacht. Leider erwartet die Project Immobilien Berlin mittlerweile das über 2,5-fache der damaligen Investition. Wir standen dann in Verhandlung mit unseren Finanzierungspartnern die die geforderte Summe prüfte. Doch durch die neuen Erkenntnisse bezüglich der Bodenbelastung wurden wir uns nicht einig. Der Investor hat die Anlage nun dem freien Markt angeboten aber wir geben nicht auf, auch wenn Kaufinteressenten vorbeischauen um das „Alte Wasserwerk“ zu begutachten und hoffen auf Einigung mit der Project Immobilien Berlin.

In der Nähe der Trettachzeile haben sich einige Obdachlose angesiedelt, die von Euch unterstützt werden. Wie seid ihr aufmerksam geworden?

Ein Freund bat um Feuerholz für die Obdachlosen und so haben wir die Männer kennengelernt.Sie haben sich in Sichtweise von uns ein Camp errichtet. Wir stellten fest, dass die Männer sehr gut organisiert und vernetzt sind und waren schnell bereit ihnen zu helfen, wenn sie etwas benötigen. Allerdings sind sie auch sehr bescheiden und jeden kleinen Wunsch muss man erfragen, weil sie nicht zur Last fallen wollen. Es sind sehr nette Menschen und wir versuchen mit unseren Mitteln zu helfen wo wir können. Mittlerweile kochen wir einmal in der Woche für die Obdachlosen. Gern auch Wunschgerichte. Da Obdachlose in Tegel nicht erwünscht sind, möchten wir Sie auch etwas schützen. Wir konnten neue Unterstützer akquirieren, die auch Material für das Camp liefern oder warme Mahlzeiten vorbeibringen werden. Es ist schön zu sehen, dass man mit Kleinigkeiten ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen zaubern kann. Es macht und viel Freude und tut uns im Herzen gut, ihnen zu helfen.

Arbeitet ihr die Obdachlosen betreffend mit Vereinen zusammen?

Tatsächlich haben diese Menschen schlechte Erfahrungen mit u.a. Sozialarbeitern gemacht und greifen lieber auf Hilfe von privaten Unterstützern zurück.Aber selbst die betroffenen Obdachlosen sind so engagiert, dass sie regelmäßig bei der Kleiderausgabe für andere Wohnungslose helfen. Sie gehen aber auch in die Bahnhofsmission.

Wie können interessierte Bürger:innen helfen?

Wir freuen uns über Hilfe, bitten aber auch aus Privatsphäregründen gegenüber den Obdachlosen um einen Erstkontakt über unsere Kanäle. Wir stellen dann gerne Möglichkeiten der Unterstützung vor. Natürlich versuchen wir ein Netzwerk für sie aufzubauen aber nur, weil sie keine Türen haben, haben sie dennoch ein Recht auf einen geschützten Raum und Privatsphäre. Kontakt kann über unsere Facebookseite „Altes Wasserwerk Tegel“, die E-Mailadresse trettachzeile@gmx.de oder als Nachricht an die Mobilfunknummer 0176 2044 3131 aufgenommen werden.

Wir danken für die Einblicke und das Interview!

Irina & Robert