Das Licht
Eröffnungsfilm der 75. Berlinale
Die 75. Berlinale wurde am 13. Februar mit einem echten Berlin-Film eröffnet. Regisseur und Autor ist Tom Tykwer – sie wissen schon: LOLA RENNT, BABYLON BERLIN etc...
Er hat es sich nicht leicht gemacht mit seinem ersten Kinofilm seit beinahe zehn Jahren und bietet dem Publikum mit 162 Minuten viel Kino. Und er macht es auch dem Publikum nicht eben leicht – jedoch, seichte Leichtigkeit gibt es ohnehin genug.
Eine „ganz normale dysfunktionale deutsche Familie“ mit Mama (Nicolette Krebitz), Papa (Lars Eidinger), Zwillingstochter, -sohn und unehelichem Söhnchen, dazu die diversen Mitmenschen – darunter vor allem Farrah (Tala Al-Deen), die nach dem plötzlichen Tod der polnischen Putzfrau den Haushalt bei den Engels übernimmt. Was für eine Familie ist das also?
Tom Tykwer:
„Na, ich sehe diese Familie so, wie ich viele Familien kenne und wie, glaube ich, viele das auch kennen. Dass man sich so auf seinen Inseln einlebt, und alle stecken eigentlich den Kopf in so ein Aquarium und finden die Aussicht ganz hervorragend. Vergessen dabei, dass es einfach nur ihr eigenes Aquarium ist, wo keiner sonst mitschwimmt. Und stecken da mit ihren Köpfen so drin, und wenn man von draußen draufguckt, denkt man, was ist mit euch los? Aber von innen merken die Leute das nicht. Das gibt es auch in Beziehungen, das gibt es auch mit Systemen, das gibt es mit Gesellschaften – aber eben auch in Familien. Und so eine ist das. Die haben den Kontakt verloren. Und es entsteht eine gewisse Vereinsamung, die ein gesellschaftliches Problem geworden ist. Und jetzt, glaube ich, da bricht wieder was Neues an - eine neue Zeit, in der dieser Rückzug nicht mehr geht. Den kann man nicht einfach so weiter betreiben. Und daran erinnern uns ja auch die Jüngeren, die jetzt nachwachsen.“
Die Familie Engels hat es tatsächlich erwischt – man wohnt zwar zusammen, aber zugleich lebt jeder für sich allein. Allein mit den vielfältigen Problemen, die die heutige Zeit so offeriert. Bis irgendwann diese ganz spezielle Haushaltshilfe dazukommt. Farrah ist eine Immigrantin aus Syrien mit Hochschulabschluss, die nun, wie‘s scheint, einfach so, die Hausarbeit auf sich nimmt. Sympathisch und effizient. Jedoch, sie hat ein Geheimnis (das wir hier natürlich nicht vorweg verraten können) – und sie hat so eine seltsame Lampe.
Das magisch flackernde Licht Farrahs macht natürlich neugierig. Ist es lediglich eine ästhetische Kreation oder gibt es dafür auch konkrete Hintergründe?
Tom Tykwer:
„Naja, das Licht, also diese Lampe, die sie benutzt... Sie ist ja eine studierte Psychologin. Die Lampe ist ein therapeutisches Werkzeug, das sie benutzt. Die gibt es wirklich, die wird benutzt in echten Therapieformen. Das ist ein neues, sehr interessantes Tool, mit dem ich mich auch auskenne. Aber mir geht es natürlich vielmehr um die transformative Kraft dieses Mediums, das, wenn man so will, wie so ein Spiegel fürs Kino ist. Das Kino ist ja auch im Grunde Flackerlicht, das uns bespielt und das uns hoffentlich transformiert im besten Fall. Und das uns, ich will jetzt gar nicht sagen, Erleuchtung gibt, aber das uns auf jeden Fall bestimmte Erfahrungen vermitteln kann, die unvergesslich sind.“
Ein „Lichtspiel“ übers Licht jetzt also – obwohl es in diesem Film-Berlin erstaunlicherweise fast unentwegt regnet.
Tom Tykwer:
„Ja, aber ich erinnere immer daran, dass Regen überhaupt nur sichtbar ist, wenn Licht drauf fällt. Das kennt man, wenn man mit Regen dreht, besonders. Den ganzen Film über mussten wir ja Regen erzeugen, denn natürlich hat es nie geregnet. Das weiß nur der Laie nicht, aber du musst faktisch ja die 3, 4, 5-fache Menge von Wasser runterkommen lassen und noch richtig viel Licht drauf ballern, damit du im Film einen gut, ordentlich aussehenden Regen hast. Was immer den Nachteil hat, dass die Schauspieler schon nach 10 Sekunden bis auf die Unterwäsche durchnässt sind. Aber Regen ohne Licht ist im Kino nicht da. Und das Licht bringt diese ganzen millionenfachen Reflektionen auf dem Wasser zum Leben und kreiert gleichzeitig auch so einen interessanten Tunnel oder so einen Innenraum, so einen stillen Innenraum, den man ja nur im Regen findet, wo eine Intimität plötzlich erzeugt wird, die an Plätzen, wie jetzt hier im Potsdamer Platz oder irgendwo in der Innenstadt, so gar nicht möglich wäre. Es entsteht ja auch so eine Raumdichte und so eine Enge, auch im Klang. Und diese Intimität, die ich in dem Film wollte, der trotzdem ja ein Großstadtfilm ist, das kam dem sehr entgegen.“
Wer Tykwers Oeuvre kennt, weiß, dass er es liebt, mit den Möglichkeiten des Kinos zu spielen. Und seit LOLA RENNT ist dieser Film wahrscheinlich sein größtes Experiment. Die Vielfalt und den Wechsel von Gestaltungsmitteln (Action, Animation, Trickpassagen, Musik und Tanz...) immer in sicherem Griff zu behalten ist doch sicher nicht einfach. Was war da dein Ansatz?
Tom Tykwer:
„Also erstmal ist es so, dass die Leute, von denen der Film handelt, mir so vertraut sind und trotzdem so verschieden, Die sind zwar eine Gruppe, aber die kommen aus so verschiedenen Welten. Also der Junge spielt gerne VR-Games, seine Zwillingsschwester ist eine Raverin, die aber auch Politaktivistin ist. Die Mutter arbeitet in Ostafrika in einer NGO und der Vater versucht in der Industrie irgendwie noch progressive Ideen unterzubringen. Alle straucheln und kämpfen in ihren eigenen Welten, die aber irre verschieden sind. Und ich habe gemerkt, wenn ich dem gerecht werden will, muss ich in die Haut von all denen schlüpfen, inklusive der syrischen Haushälterin...
Wenn ich die von ihnen erzähle, wird der Film mindestens fünf, sechs, sieben Sprachen sprechen müssen. Also auch filmische Sprachen und filmische Ästhetiken haben dürfen. Und dann ist mir wieder klargeworden: Warum soll er das denn nicht dürfen? Das habe ich doch schon oft versucht, und das ging dann auch plötzlich. Du musst es versuchen, das ist ja das Tolle am Kino, dass es eigentlich alles kann und alles darf. Und das sind dann natürlich die Leute, die den Film machen. Wenn wir eingeschworen sind, dann schweißt das ja dieses kollaborative Gen, das Filme auszeichnet. Wir waren zusammen in diesem Raum, der dieser Film werden sollte und haben diese unterschiedlichen Farben alle zusammengemischt und uns aber so synchronisiert, dass daraus ein Bild wurde, das man lesen kann.“
Was war deine Idee mit Farrah? Du willst uns ja etwas nahebringen, was wir wahrscheinlich irgendwie wissen. Doch für wirkliche Empathie scheint das Leid der anderen beim Durchschnittsbürger offensichtlich immer noch zu fern.
Tom Tykwer:
„Also für mich war wichtig, wir erzählen: eine syrische Haushälterin kommt in so eine Familie, die wir jetzt irgendwie dysfunktional nennen, aber eigentlich eine ganz normale Familie ist, schüttelt die total durch, ist irgendwie ganz anders als erwartet und überraschend komplex, einfühlsam, tief – all das, was die eigentlich brauchen. Und sie erinnert uns einfach nur daran, dass diese Leute schon längst in unserer Gesellschaft überall sind, dass Integration ja nicht ein Projekt ist, das wir jetzt mal endlich vorantreiben sollten, sondern das schon auch in großen Teilen stattgefunden hat. Wir sind einfach schon völlig selbstverständlich verankert mit einer Gesellschaft, die zu fast einem Drittel aus Zugezogenen besteht und die uns umgeben, mit denen wir dauernd im Gespräch sind.
Und das Schicksal dieser syrischen Frau ist insofern ja für den Film so besonders relevant, weil es eigentlich ein dunkles Geheimnis ist, das sie mit sich zu schleppen scheint, das wir aber über lange Zeit nicht verstehen.
Das aber wie so eine dunkle Wolke drohend über dem Film steht und dessen Leichtigkeit immer wieder auch gebrochen wird, dadurch, dass wir wissen, irgendwas kommt dann auch auf uns zu. Und das hat eine Dimension, die wir auch noch nicht einschätzen können. Und dann stellt sich natürlich irgendwann die Frage, wie sehr konfrontieren wir den Zuschauer mit Lebenswelten und Erfahrungsräumen, die die meisten Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, mit sich bringen.
Und dann kommt man darauf zu sprechen, wie bist du denn eigentlich hierhergekommen. Und dann kommt in der Regel eine Geschichte, die einem so den Boden unter den Füßen wegzieht, weil sie so ein Albtraum oder so ein Abgrund ist, in dem man gar nicht blicken möchte, in dem wir auch meist vermeiden zu gucken.“
Mir gefällt besonders jene Sequenz, in der Papa Tim in seinem Job die ökologischen Argumente der Tochter locker übernimmt, ohne wirklich (d.h. konkret und mit Folgen für sich selbst) daran zu glauben. Das beschreibt irgendwie uns alle. Und es gibt folglich auch immer wieder komische Momente, die dem Film die Schwere nehmen.
Tom Tykwer:
„Es ist ein Film, der auch das Resultat von so vielen tollen Zeiten mit vielen Freunden ist, durch die man auch den Mut kriegt, anders auf sich selbst zu gucken. Das hat sich zum ersten Mal so natürlich angefühlt wie schon lange nicht mehr. Und so schön und natürlich auch teilweise schwer, weil der Film ja leicht ist und schwer.
Ja, es ist ja auch wichtig, dass wir über uns lachen können und dass der Film auf eine spielerische Weise unsere Widersprüche enttarnt und es gleichzeitig aber auch nicht immer besser weiß, sondern bei den Figuren bleibt und zeigt, wie sie zu überleben versuchen, indem sie sich manchmal sogar, obwohl sie sich lieben, auch gegenseitig ausbeuten. Auch Ideen verkaufen, weil sie sich gut verkaufen, aber gleichzeitig auch daran glauben. Das sind halt alles so komische Dichotomien, die uns irgendwie auch prägen.“
Sehe ich das richtig? Dich interessiert es eigentlich eher, Fragen zu stellen, als uns die Antworten zu servieren?
Tom Tykwer:
„Ja, ich habe ja gar keine Antworten. Ich habe überhaupt keine Antworten... Aber ich weiß, dass es wirklich wichtig ist, dass wir uns mal am Schopf nehmen und durchschütteln und dann auch dazu bringen, diesen ganz einfachen Weg wieder zu gehen, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören.
Es ist ja der Witz, dass Farrah dieser Familie eben das beibringt, das wieder zu machen in einem Kontext, in dem es eigentlich selbstverständlich sein sollte.“
DAS LICHT ist ein geradezu epischer Berlin-Film und eine wunderbare Einladung ans Publikum, über das Leben, die Herausforderungen unserer Zeit und über Kino an sich ins Gespräch zu kommen, zu streiten und sich selbst und die Menschen um einen herum mal „in einem anderen Licht“ zu sehen… Der Film startet am 20. März in allen Kinos.
Philipp Teubner