Oslo Stories

neu im Kino

Philipp Teubner

Die Frage, was eigentlich Liebe ist, beschäftigt uns alle. Der norwegische Filmemacher Dag Johan Haugerud hat darüber gleich drei Filme gemacht. Auf der Berlinale wurde er mit dem Hauptpreis ausgezeichnet - und alle drei Filme kommen glücklicherweise nacheinander in die Kinos.

Philipp Teubner sprach mit dem Regisseur und seiner Darstellerin Ella Øverbye.

Es ist von einer Film-Trilogie zu berichten, die der norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud geschrieben und inszeniert hat. Und es ist ihm ein erstaunliches Kunststück gelungen, dass sich ganz beiläufig gegen altbewährte Gepflogenheiten von Dramaturgie, Spannung, Erwartungen, etc. stellt und dennoch unentwegt ansehenswert, unterhaltsam und bewegend bleibt. Ein gleichmäßig strömender natürlicher Fluss der Dinge mit den dazugehörigen Zufällen und widerstreitenden menschlichen Eigenheiten, die keine aufgesetzten erzählerischen Effekte benötigen, um dennoch (oder gerade deshalb) zu interessieren.

Für mich gehört OSLO STORIES bereits jetzt zu den besten Trilogien der Filmgeschichte.

Alle drei Filme spielen in Oslo und man kann sie durchaus in beliebiger Reihenfolge ansehen:

1 LIEBE (Kjærlighet)

Premiere auf dem Filmfestival Venedig 2024

Der erste Film hinterfragt, ob Liebe nur romantisch sein muss - oder steckt darin auch Verantwortung. Die Fähre auf dem Oslofjord als ideales Gefährt für die Anbahnung von kurz- oder längerfristigen Beziehungen. Marianne mit Bindungsängsten und einer vagen Vorliebe für One-Night-Stands oder der schwule Krankenpfleger Tor, der mit ihr bemerkenswert tiefgründige Gespräche über emotionale Nähe und gesellschaftliche Normen führt.

Kinostart: 17. April 2025

2 TRÄUME (Drømmer)

Goldener Bär der Berlinale 2025

Eine 16-jährige Schülerin verliebt sich unversehens in ihre Lehrerin und sublimiert die sie bedrängenden Gefühle in ihrem Tagebuch. Als Mutter und Großmutter das Tagebuch entdecken, verursacht das neben Spannungen auch – vor allem bei der literarisch interessierten Oma – so etwas wie einen Sinneswandel, die eigenen unerfüllten Träume betreffend.

Kinostart: 8. Mai 2025

3 SEHNSUCHT (Sex)

Premiere im Panorama der Berlinale 2024

Der Film regt an, die eigenen Bedürfnisse in der Lebensmitte noch einmal neu zu erforschen. Zwei Schornsteinfeger, die in ihren alltäglichen Gesprächen etwas Unerwartetes offenbaren. Sie sind beide heterosexuell und glücklich verheiratet. Aber einer von ihnen erlebt während seiner Arbeit eine homosexuelle Offerte, die er nicht ablehnen kann oder will - was letztendlich beide veranlasst, ihre bisherigen Begriffe von Sexualität zu hinterfragen.

Kinostart: 22. Mai 2025

Im Übrigen - alle Teile der Trilogie, wie es schon die Titel andeuten, haben mit Sehnsüchten, Sex, Liebe - oder wie man es auch nennen möchte, zu tun. Vor allem aber (hierzulande derzeit fast ungewohnt) völlig ideologiefrei und nie prätentiös. Einfach so: Oslo als Sehnsuchtsort für modernes Leben.

Was aber verbindet die Filme miteinander - und worin unterscheiden sie sich?

Dag Johan Haugerud:

„Sie sind alle im Kern mit denselben Themen beschäftigt: Sexualität, Identität und Liebe – aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. TRÄUME könnte eigentlich auch der erste Film der Reihe sein. Denn er erzählt vom allerersten Erleben von Liebe, vom ersten körperlichen Verlangen, von der ersten Berührung durch diese Emotion. Es geht um die Erinnerung daran, wie es damals war – ganz am Anfang...“

Dieser Film bewegt sich oft im Zwielicht, in der Ambivalenz der Emotionen. Da ist immer so etwas wie die Mehrdeutigkeit des Lebens im Spiel, das Spektrum der Gefühle – diese emotionale Unschärfe und die Grauzonen der Liebe. Besonders deutlich wird das in der Erfahrung der ersten Liebe: Bild oder Realität, Einbildung oder Tatsache, Vorstellung oder Wahrheit?

Dag Johan Haugerud:

„Ganz genau. Wenn man sich zum ersten Mal verliebt, spielt sich so viel im Kopf ab. Man fantasiert, man stellt sich vor, wie das Leben mit dieser Person aussehen könnte – auch wenn daraus nie eine Beziehung wird. In gewisser Weise konstruiert man seine Liebesgeschichte im eigenen Inneren. Und manchmal wird es dann tatsächlich so, aber oft eben nicht. Diese Ambiguität – darum geht es mir in diesem Film.“

Johanne (Ella Øverbye) ist in fast jeder Szene des Films zu sehen. War es schwierig, die passende Schauspielerin für eine derart anspruchsvolle Rolle zu finden?

Dag Johan Haugerud:

„Nein, die Rolle wurde für sie geschrieben. Ich habe schon mit ihr gearbeitet, als sie elf Jahre war (BARN, 2019), und wollte sehen, wie sie sich entwickelt hat – als Mensch und als Schauspielerin. Das war für mich sehr spannend. Also habe ich das Drehbuch speziell für sie geschrieben.“

Dieser Film ist sehr schön und intim. Als der Regisseur Dir die Rolle anbot – was hast Du empfunden? Und wer ist Johanne in Deinen Augen?

Ella Øverbye:

„Also zuerst: als er mir die Rolle anbot, war ich wahnsinnig aufgeregt. Als ich zum ersten Mal für das Projekt vorgesprochen habe, wusste ich noch gar nicht, dass Dag Johan der Regisseur ist. Ich hatte mehrere Castings, und ich glaube erst beim dritten erfuhr ich, wer dahintersteht. Als mir klar wurde, dass es sein Projekt ist, wurde das Ganze für mich noch bedeutungsvoller. Und ich war auch ziemlich überwältigt – vom Stoff, von der Sensibilität des Films. Einer meiner ersten Probetermine war ein Voice-over-Text und es fühlte sich so echt an.

Wer Johanne für mich ist? Sie ist ziemlich anders als ich, aber wir haben gar nicht so viel darüber gesprochen, wer sie ist. Es ging mehr darum, wie sie empfindet, wie sie auf Dinge reagiert. Sie ist sehr sensibel, auch intellektuell und lebt viel in ihrer eigenen komplexen Welt. Das liebe ich an ihr. Und genau das macht es auch spannend, sie zu spielen.“

TRÄUME zeigt auch, wie erste Liebe nicht nur junge Menschen betrifft, sondern wie sich unsere Wahrnehmung von Liebe mit dem Alter verändert – etwa bei Mutter und Großmutter. War das für Sie ein zentrales Thema?

Dag Johan Haugerud:

„Unbedingt. Ich glaube, wir alle erinnern uns an unsere erste Liebe. Dieses Gefühl ist so stark, dass es uns ein Leben lang begleitet. Danach verlieren wir etwas – unsere Unschuld vielleicht. Und manchmal sehnen wir uns danach, dieses Gefühl noch einmal zu erleben. Für die Mutter und die Großmutter im Film ist es genau das – eine Erinnerung, die vielleicht wieder aufleuchtet.“

Gelegentlich meint man ja, im Kino sollten nicht zu viele Worte gemacht werden. Ihre Filme basieren jedoch auf Sprache. Was war Ihre Konzeption?

Dag Johan Haugerud:

„Ich glaube, Gespräche – so wie das, das wir jetzt führen – sind Handlung. Kommunikation ist das, was wir am häufigsten tun. Für mich liegt Handlung eben auch im Sprechen. Ich sehe das nicht so, dass Film in erster Linie nur aus Bildern besteht. Sprache und Dialog sind sehr wichtig – sie spiegeln wider, wie wir sind. Und unser Alltag ist voller Gespräche. Warum also nicht auch im Film? Nicht in jedem Film, aber in meinen auf jeden Fall.“

Wie kam es dazu, diese ungewöhnliche Trilogie zu entwickeln?

Dag Johan Haugerud:

„Ursprünglich wollten wir nur einen einzigen Film machen, aber wir haben dafür keine Förderung bekommen. Die Beraterin des Norwegischen Filminstituts schlug vor, die Geschichte weiter auszubauen - umfassender zu erzählen. Also haben wir entschieden, drei Filme über dieselben Themen zu machen. Es war auch ein persönlicher Antrieb: Ich wollte mich künstlerisch herausfordern und sehen, ob es möglich ist, drei Filme gleichzeitig zu drehen - mit demselben Team, aber mit unterschiedlichen Figuren und Darstellern. Außerdem hatte ich viele Schauspieler, mit denen ich gern arbeiten wollte - und dafür war ein Film einfach zu wenig.

Wenn man Filme über Liebe und Sexualität machen will - und das über eine ganze Trilogie hinweg - beginnt man zu überlegen: Wie kann man diese Themen auf verschiedene Weise betrachten? Und man merkt schnell: Diese Dinge sind zutiefst individuell. Jeder Mensch macht eigene Erfahrungen, hat andere Bedürfnisse. In gewisser Weise könnte man unendlich viele Filme darüber drehen.“

Und es ist ihm gelungen. Es ist erstaunlich, wie Dag Johan Haugerud in seinen drei Filmen die Möglichkeiten des Kinos weiter auslotet und diese eigentlich so oft erzählten Themen ganz unkonventionell für uns neu entdeckt.

Ella Øverbye:

„Film und Kino... Ich glaube, gerade in den letzten Jahren bedeutet es mir sehr viel. Vor allem das Erlebnis, ins Kino zu gehen. Es ist dieses Gefühl, dass man einfach für 90 Minuten wirklich nur mit den eigenen Empfindungen dasitzt – sich ganz auf etwas einlässt. Ich denke, das ist heute etwas Besonderes, gerade für meine Generation. Wir sind ständig beschäftigt, alles passiert gleichzeitig, und man nimmt sich kaum noch Zeit, sich wirklich mit etwas auseinanderzusetzen – besonders mit etwas so Sensiblem, so Echtem, so Pur-Emotionalem, wie es eben gute Filme sind. Und dann sitzt du in diesem dunklen Raum und konzentrierst dich ganz auf eine einzige Sache – das gibt mir sehr, sehr viel.“

© Alamode Film
Lukasz Bak / © Alamode Film
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Lukasz Bak / © Alamode Film
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Lukasz Bak / © Alamode Film
Lukasz Bak / © Alamode Film
Dirk Michael Deckbar / © Berlinale 2025
Richard Hübner / © Berlinale 2025