Die Brandmauer gegen die AfD wurde eingerissen

Katina Schubert

Die Kandidatin der Linken Reinickendorf für den Bundestag Katina Schubert (MdB) ist enstsetzt über den Tabubruch der Union

Auch nach einer Nacht drüber schlafen geht es mir wie gestern: Ich bin schier entsetzt über den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, und das Handeln von CDU/CSU, FDP und BSW. Sie haben am 29.1.25, wenige Stunden nach der Feierstunde des Deutschen Bundestages, mit Stimmen der AfD einen sogenannten Fünf-Punkte-Plan zur Begrenzung von Flucht und zur Abschreckung geflüchteter Menschen beschlossen. Dieser Beschluss kam NUR aufgrund der Zustimmung der AfD zustande. Das ist der erste Tabubruch auf Bundesebene: jegliche Kooperation mit der rechtsextremen und demokratiefeindlichen AfD durch demokratische Parteien zu unterlassen.

Die Begründungen von Friedrich Merz sind genauso furchtbar wie das Zustandekommen des Beschlusses. Er behauptet, sein Fünf-Punkte-Plan würde künftig schreckliche Taten und Morde wie die von Aschaffenburg, Mannheim und Magdeburg verhindern, indem einfach niemand mehr aus dem Ausland ins Land gelassen wird.

Abgesehen davon, dass das hanebüchener Unsinn ist, ist es zutiefst demokratiefeindlich und rassistisch. Diese Behauptung fußt auf der Annahme, dass geflüchtete Menschen, vorwiegend Männer, in der Regel Gewalttäter und Mörder sind. Sie stellt geflüchtete Männer unter Generalverdacht, und das widerspricht jeder rechtsstaatlichen Idee. Jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, meist sind es Beziehungstaten, oft ist es der eigene Mann, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Lesen wir etwas dazu in den Zeitungen? Steht ein ganzes Land Kopf? Werden ganze Gesetze gegen Männer erlassen? Nein. Denn jede dieser Taten ist einzeln zu verfolgen. Es steht keine organisierte Struktur dahinter, sondern eine patriarchale Herrschaftsformation, die Gewalt an Frauen bis hin zur Tötung immer noch als gesellschaftlich normal akzeptiert.

Ein getöteter Mensch ist aber ein toter Mensch, ganz egal, wer ihn aus welchen Motiven getötet hat. Jeder getötete Mensch verdient das gleiche Mitleid, die gleiche Empörung. Kann man also nichts gegen solche Tötungen tun?

Doch, ich denke schon. Es wird niemals hundertprozentige Sicherheit geben. Aber das Attentat von Aschaffenburg hätte verhindert werden können, wenn der psychisch schwer kranke Mann die Hilfe bekommen hätte, die er dringend benötigte. Wenn die Behörden nicht so ignorant gewesen wären, wenn es eine ausreichende Infrastruktur zur psychosozialen Versorgung von psychisch kranken Menschen mit und ohne Fluchthintergrund gäbe, anstatt dass sie auf lächerliche Reste zusammengestrichen wurde.

Auch der Attentäter von Magdeburg, ein Arzt, AfD-Fan, seit Jahren hier lebend, ganz offensichtlich auch mit schweren Störungen belastet, war der Polizei und den Behörden bekannt. Möglicherweise hätte auch dieses Attentat verhindert werden können.

Wir wissen, dass Terrororganisationen wie der IS gezielt in Geflüchtetenunterkünfte gehen, um Menschen anzuwerben. Wenn diese seit Monaten ohne Privatsphäre und ohne Perspektive auf Arbeit, Wohnung und ein eigenständiges Leben dort wohnen müssen, sind manche ein leichtes Opfer. Doch die Lösung ist nicht die Unterlaufung und Schleifung des Grundrechts auf Asyl und des internationalen Flüchtlingsschutzes, sondern schnelle und faire Asyl- und Schutzverfahren, schnelle Vermittlung in eigenständiges Wohnen und Arbeit und/oder Bildung.

Zur Lösung gehört eine ausreichende soziale und kulturelle Infrastruktur, die ein Miteinander von Neu- und Altbürger*innen ermöglicht, die Teilhabe ermöglicht und Ausgrenzung verhindert. Und ja, das kostet Geld, aber das ist tausendfach sinnvoller investiert, als Milliarden in eine völlige Abriegelung der Bundesrepublik zu stecken, als zehntausende von Menschen in Massenlagern zu inhaftieren, sie von Job und Leben wegzureißen und im Übrigen der Wirtschaft massiv zu schaden.

Diese Politik der Union mit der AfD im Verein mit FDP und BSW ist menschenrechtsfeindlich, unsozial und zukunftsfeindlich.

Was mich aber genauso umtreibt, ist die Begründung von Merz und seinem Kompagnon Christian Lindner von der FDP. Die Mehrheit der Deutschen sei der Meinung, man müsse die Grenzen schließen. Deshalb müsse das jetzt gemacht werden, ganz egal, ob das europarechtlich, menschenrechtlich geht oder nicht.

Das demokratisch gewählte Parlament als Exekutor eines gefühlten Mehrheitswillens? Ist das das Demokratieverständnis der Union? Wird es künftig auch die Todesstrafe geben, weil eine Umfrage eine Mehrheit in der Bevölkerung dafür herausgefunden hat? Oder den Abschuss aller Wölfe, weil irgendwo irgendwer behauptet, die Mehrheit sei dafür?

Parlamentarische Demokratie lebt von dem Austausch von Argumenten, vom Abwägen, auch von Machtspielen, letztlich aber vor allem davon, dass nach allen Verhandlungen und Abwägungen ein tragbarer Kompromiss zumindest der regierungstragenden Parteien erarbeitet wird, der auf Recht und Gesetz der Bundesrepublik, der EU und des Völkerrechts beruht. Wenn jetzt gefühlte Mehrheiten entscheiden, was politisch gemacht wird, ist das das Ende der Demokratie und der Beginn eines Willkürstaats. Und jetzt komme man mir nicht mit direkter Demokratie. Auch direkte Demokratie ist nur dann Demokratie, wenn der letztlichen Abstimmung auch eine Phase des Argumentierens, des Abwägens und der Verhandlung vorausgeht. Kein Volksbegehren wird zu einem Volksentscheid, das nicht auf seine Verfassungsmäßigkeit und Umsetzbarkeit überprüft wurde und das nicht mehrere Hürden der Zustimmung nehmen muss.

Vermeintliche oder gefühlte Mehrheitsmeinungen als handlungsleitend für parlamentarische Entscheidungen heranzuziehen, führt zu Willkür und öffnet den Manipulationen der Öffentlichkeit durch Fake News, durch Verschwörungstheoretiker und offene Faschisten wie Elon Musk Tor und Tür. Eine wehrhafte Demokratie, die auch die Union so gerne vor sich herträgt, darf aber weder manipulativ noch käuflich sein. Sie muss transparent sein. Es muss klar sein, welche Entscheidung wofür notwendig, sinnvoll, angemessen und geeignet ist.

Auch deshalb ist der Einriss der Brandmauer gestern durch die Union kein Unfall, der schnell vergessen wird. Es ist der Einzug des Trumpismus in die bundesdeutsche Politik, und es steht zu befürchten, dass Merz und Co. gleich weitermachen.

"Wehret den Anfängen" ist ein Vermächtnis des antifaschistischen Kampfes, das viele mutige Menschen gegen die Naziherrschaft uns aufgetragen haben. Dem müssen wir uns verschreiben.