In zehn Punkten verfassungswidrig

Wir in Reinickendorf • 2/2005

Gutachten zu Hartz IV

Eine von den PDS-Fraktionen in den Landtagen von Brandenburg, Sachsen und Thüringen in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme zum Vierten Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Gesetz zehnfach gegen das Grundgesetz verstößt.

Gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, im Nachgang zur Arbeitslosenversicherung ein auf Dauer angelegtes System der Arbeitslosenhilfe vorzuhalten. Doch dies gilt nur insoweit, als mit den Neuregelungen die aus dem Grundgesetz (GG) folgenden Vorgaben des Sozialstaatsgebots sowie der Grundrechte und grundrechtgleichen Rechte gewahrt werden.

  1. Genau dies leistet jedoch das Regelwerk des SGB II im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Maße. Mit diesem Gesetz nimmt der Gesetzgeber klar Abstand vom Sozialstaatsgebot, wie es das Grundgesetz normiert hat.
  2. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem vorgesehenen Niveau der Sozialhilfe unterschreitet den Bedarf der Betroffenen und ist deshalb mit dem Grundrecht auf Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. (...) Die Regelsätze reichen nicht aus.
  3. Die Kombination der Verkürzung der Anspruchsdauer auf die Zahlung von Arbeitslosengeld I mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II ohne angemessene Übergangsregelungen ist insbesondere für Langzeitversicherte nicht mit dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot gemäß Art. 20 und 28 Abs. 1 GG vereinbar, sofern diese durch diese Regelung schlechter gestellt werden.
  4. Die Beschränkung der Leistungen für Bezieher von Arbeitslosenhilfe, die die so genannte 58er-Regelung in Anspruch genommen haben, ist mit dem Eigentumsschutz von Artikel 14 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot gemäß Art. 20 und 28 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar.
  5. Die mittelbare Diskriminierung von Frauen, die durch die Anrechnung des Partnereinkommens innerhalb der Bedarfsgemeinschaft weit überwiegend von einem dadurch begründeten Leistungsentzug betroffen sein werden, ist mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung gemäß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG unvereinbar.
  6. Diese Regelung des SGB II zur Hilfebedürftigkeit bei Bedarfsgemeinschaft ist ebenso unvereinbar mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1.
  7. Die Zumutbarkeitsregelungen in Verbindung mit dem sanktionsbewährten Zwang, jede Arbeit anzunehmen, sind mit dem Artikel 12 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes unvereinbar, wenn die Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten gegen den Willen des oder der Betroffenen verlangt wird und diesem oder dieser der Arbeitsmarkt verschlossen ist.
  8. Der sanktionierte Zwang, eine so genannte Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, ist wegen des Fehlens privatautonomer Entscheidungsfreiheit mit dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 unvereinbar.
  9. Die derzeitige Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit, insbesondere der zur Antragstellung gehörende Fragebogen, ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs. 1 und mit Artikel 1 Abs. 1 unvereinbar. Es werden Daten erhoben, die die Bundesagentur für die Bewilligung der Leistungen gar nicht benötigt.
  10. Die Ermächtigung zur Pauschalierung der Leistung durch Verordnung der zuständigen Bundesministerien steht auf keiner ausreichend geregelten gesetzlichen Grundlage und ist deshalb mit dem Rechtsstaatsgebot gemäß Art. 20 und 28 Abs. 1 unvereinbar.

PDS unterstützt Kläger

Die PDS kann nach geltendem Recht nicht im eigenen Namen gegen Verstöße von Hartz IV gegen das Grundgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Sie wird deshalb den Arbeitslosenverband darin unterstützen, Betroffene auf ihrem Gang durch die Instanzen bis nach Karlsruhe zu begleiten.

Ein-Euro-Jobs statt regulärer Arbeit?

Eine Frage an Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS)

Wie kann eine Senatsverwaltung verhindern, dass nach Hartz IV reguläre Jobs in der freien Wirtschaft durch Ein-Euro-Jobs ersetzt werden?

Die beste Kontrolle ist eine wache Öffentlichkeit. In harten Verhandlungen haben wir uns Anfang Dezember mit Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer, Spitzenverbänden der Wirtschaft, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften auf eine gemeinsame Erklärung zu diesen Zusatzjobs geeinigt. Darin wird unmissverständlich klar gestellt, dass sie reguläre Beschäftigung nicht verdrängen dürfen. Darauf werden wir alle Unterzeichner hinweisen, falls es nötig ist. Wir werden jeder Missbrauchsmeldung nachgehen.

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