Marx und Kant, Allah und Gott

Wir in Reinickendorf • 09/2008

Ethikunterricht für ein gegenseitiges Verstehen

Seit zwei Jahren gibt es in Berlin ab der siebten Klasse einen gemeinsamen Ethikunterricht. Zur Position der LINKEN äußert sich der Bildungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Steffen Zillich:

Was hat die Kampagne von „ProReli“ eigentlich mit dem Ethikunterricht zu tun?

„ProReli“ – unterstützt von den Kirchen und der CDU – geht es um ein altes Ziel: Der Religionsunterricht soll in Berlin Pflichtfach werden. In Berlin ist anders als in anderen Bundesländern, der Religions- und Weltanschauungsunterricht ein freiwilliges Unterrichtsfach.

Unter dem Slogan der „Wahlfreiheit“ soll ein Wahlpflichtfach eingeführt werden. Das hieße, dass Schülerinnen und Schüler zwischen Ethik und Religion wählen müssten. Wenn „ProReli“ Erfolg hätte, gäbe es keinen gemeinsamen Ethikunterricht mehr.

Warum ist Ethik für Berlin so wichtig?

In Berlin leben Menschen aus fast 200 Nationen mit ganz unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen. Diese Vielfalt ist die Stärke Berlins, stellt aber auch große Anforderungen an das alltägliche Zusammenleben der Menschen. Gegenseitiger Respekt und Toleranz ergeben sich ebenso wenig von selbst, wie die Verständigung über gemeinsam anzuerkennende Grundlagen des Zusammenlebens.

Dies stellt auch die Schule in Berlin vor besondere Anforderungen. Das Fach Ethik soll den Jugendlichen Raum geben, sich mit verschiedenen Lebensweisen und Vorstellungen bekannt zu machen und auseinanderzusetzen. Es soll für Gemeinsames, aber auch für Unterschiede sensibilisieren. Es soll zum Verstehen des Anderen, zum Dialog, zu friedlicher Konfliktlösung befähigen. Das kann nur gelingen, wenn alle Schülerinnen und Schüler am Ethikunterricht teilnehmen, wenn sie nicht nach Religion oder Weltanschauung getrennt werden.

Inwieweit finden im Fach „Ethik“ religiöse bzw. weltanschauliche Elemente Ihren Platz?

Es gibt Kooperationen mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Es ist gut, wenn im Rahmen des Ethikunterrichts Moscheen, Synagogen, Tempel oder Kirchen besucht werden, damit Religionen authentisch erlebt werden können. Dabei muss immer gesichert sein, dass der Ethikunterricht weltanschaulich-religiös neutral stattfindet. Das ist Verfassungsgebot. Und es ist auch die Voraussetzung für den Erfolg. Verständigung kann nur gelingen, wenn keine Religion oder Weltanschauung bevorteilt wird.

Gegner des Faches werfen der rot-roten Koalition vor, den Religionsunterricht aus der Schule drängen zu wollen. Ist das auch eine Intention?

Nein. Die Berliner Regelung zum Religionsunterricht hat sich bewährt. Wir haben sie nicht geändert und haben das auch nicht vor.

Im Berliner Schulgesetz von 1948 wurde damals mit den Stimmen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Liberalen eine klare Trennung von Staat und Kirche vollzogen. Sie gründete sich im demokratischen Neubeginn und trägt in besonderer Weise der säkularen Realität in Berlin Rechnung. Diese Regelung hat sich bewährt und erweist sich auch 60 Jahre danach als Glücksfall für die multikulturell und multireligiös gewordene Stadt.

und der Ethikunterricht hat eine andere Aufgaben?

Genau. Als Bekenntnisunterricht kann kein Religionsunterricht die besondere Funktion des gemeinsamen und integrativen Faches Ethik übernehmen: Es ist etwas grundsätzlich anderes, ob man sich des eigenen Bekenntnisses vergewissert oder gegenseitiges Verständnis einüben möchte; es ist etwas anderes, ob sich Christen untereinander über die Verständigung mit Muslimen unterhalten oder ob Muslime und Christen dies gemeinsam üben müssen. Weil letzteres so schwierig und so wichtig ist, brauchen wir den gemeinsamen Ethikunterricht.

Quelle: "Bezirksbühne", Bezirkszeitung der LINKEN Charlottenburg-Wilmersdorf, 07/08-2008