Europäische Geschichten

Wir in Reinickendorf • 06/2001

Hans Modrow im Roten Laden

Von Robert Scholz

Alle Tische mussten raus und alle Stühle rein. Der Rote Laden drohte zu klein zu sein am 23. Mai, dem Abend als Hans Modrow kam. Nur zur Eröffnung mit Gregor Gysi als Gast war der Laden voller. Und Hans Modrow vermittelte im Plauderton, dass auch in Tschechien und Polen viele Menschen dieselbe Frage bewegt wie in der Bundesrepublik: Was eigentlich ist Europa und was haben wir davon zu erwarten?

Damit war die Diskussion ganz nah an der Frage, die dem Referenten zur Beantwortung vorgegeben war: EU-Osterweiterung – Bedrohung oder Chance für Berlin? Der Gedanke, mit dem Beitritt unserer Nachbarn könnte der Druck auf die Arbeitsplätze in der Stadt noch größer werden, Polen und Tschechen könnten sich als Lohndrücker hergeben, gibt vielen den Anlass, sich bei den rechten Rattenfängern umzuhören. Aber einfache Antworten auf solch komplizierte Fragen gibt es nicht, das machte Hans Modrow deutlich.

Die Situation der Beitrittskandidaten aus der ehemaligen sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft ist heute so, dass sie auf Dauer gesehen weder leben noch sterben können. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, obwohl nicht ohne schmerzliche Prozesse zu erreichen, bleibt ihre einzige Chance. Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus gibt es keinen alternativen politischen und ökonomischen Entwicklungsweg mehr.

Und gerade in der Bundeshauptstadt sollte selbstgefälliger Hochmut nicht Platz greifen. Es fehlen Milliarden um einen ordentlichen Haushalt beschließen zu können. Wird Berlin in dieser Situation noch die Mittel haben, um von den Möglichkeiten der EU-Förderung, die ihr eingeräumt wurden, überhaupt Gebrauch machen zu können? Die Wohnungsspekulanten und sonstigen Glücksritter haben ihr Schäfchen ins Trockene gebracht. Das Stopfen der Haushaltslöcher, die ihre Gewinne aufreißen, werden die einfachen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu bewältigen haben. Aber das ist eine Berliner Angelegenheit. Und hüte sich jede und jeder davor, dafür die Europäische Union verantwortlich zu machen, nur weil dieser politischer Gegner fern ist und anonym und überbürokratisiert wirkt.