Zwischen Vision und Realität

Wir in Reinickendorf • 06/2001

Reinickendorfer Lehrer fragen kritisch nach

Von Klaus Gloede

Der Bezirkslehrerausschuss und der Bezirksschulbeirat hatten eingeladen und die schulpolitischen Sprecher der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien kamen am 3. Mai in die »heiligen Hallen« der Gabriele-von-Bülow-Oberschule, um eineinhalb Jahre nach der Wahl ihre bildungspolitischen Konzepte vorzustellen.

Wie sollte Schule für das 21. Jahrhundert beschaffen sein? Und was muss sofort getan werden?

»Chancengleichheit ohne Wenn und Aber« verlangt die PDS. Siglinde Schaub, schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, vorher selbst Lehrerin mit Leib und Seele, stellte die Ergebnisse der 8. Bildungspolitischen Konferenz der PDS vor:

Aufgabe von Schule sei es, die wachsende Benachteiligung von Kindern vor allem aus sozial schwachen Familien auszugleichen, indem sie gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder garantiert. Das gegliederte Schulsystem verstärke die Benachteiligung. Chancengleichheit brauche eine Schule für alle Kinder mit gemeinsamer Schulzeit, niedrigen Klassenfrequenzen, engagierten, modern aus- und fortgebildeten Pädagogen, einem vielseitigen Angebot für die unterschiedlichen Förderansprüche von Kindern in leistungsmäßig gemischten (heterogenen) Klassenverbänden anstelle frühzeitiger Leistungsauslese. Fördern statt Auslesen! heiße die Aufgabe. Ein solches Herangehen schließe Streben nach Leistung und Talenteförderung nicht aus, sondern ausdrücklich ein.

Der Sprecher der Bündnisgrünen unterstützte die vernünftigen, realistischen Positionen. Bildung sei eine Zukunftsinvestition, die vom Senat verspielt werde. Stefan Schlede (CDU) sah die Zukunft der Berliner Schule – über mehr als zehn Jahre voraus mochte er nicht blicken – in stärkerer »Individualisierung«, »Differenzierung «, »Flexibilität«, verbunden mit größerer »Eigenverantwortung« und Werteerziehung, also Neoliberalismus in Reinkultur.

Für »Chancengerechtigkeit« plädierte Eveline Neumann (SPD) und gestand, dass die Berliner Schulpolitik oft zu Ergebnissen führe, »die wir nicht wollen«. Vielleicht müsse man Schulsenator Böger »kritischer über die Schulter sehen«. Das Leben sei komplizierter als es in GEW-Losungen klinge. Allen schönen Wünschen stehe die Frage entgegen: Woher kommt das Geld? Die »Wiedervereinigung« habe so viel gekostet. Peinlich ... nach Landowsky und der Krise der Bankgesellschaft.

Die Reinickendorfer Pädagogen ließen das nicht durchgehen. Sie seien nun nicht mehr bereit »zu verstehen und zu akzeptieren«, wenn z.B. ihre Forderung nach einer weiteren Ganztagsschule in Reinickendorf – bei über 13.000 Grundschulkindern – aus finanziellen Gründen abgelehnt werde. Im Bezirk sei manche Schule ohne Leiter, seien die Direktoren mit Verwaltungsbürokratie belastet, gebe es zu hohe Klassenfrequenzen. Die Rahmenbedingungen für einen guten Unterricht hätten sich in zehn Jahren Großer Koalition erheblich verschlechtert. Man dürfe nicht länger die Motivation der Lehrerinnen und Lehrer mißbrauchen. Wer interessiere sich angesichts der Zustände noch für den neuen Schulgesetzenwurf?!

Siglinde Schaub erklärte, dass die PDS-Fraktion dem Entwurf so nicht zustimmen werde: »Wir werden den Anlass des Gesetzesentwurfes zu intensiven Diskussionen vor allem mit Gewerkschaften, Verbänden, Vertretungsgremien und interessierten Personen nutzen und dem Abgeordnetenhaus ein Paket von Änderungsanträgen vorlegen. Ziel und Maßstab für ein neues Schulgesetz sind für die PDS Veränderungen in der schulpolitischen Praxis, die mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Chancengleichheit, mehr Demokratisierung der Schule und mehr Qualität und Zukunftsorientiertheit schulischer Bildung bewirken.«