Ein empfindlicher Tabu-Bruch

Wir in Reinickendorf • 07/2001

Von Petra Pau (MdB, PDS-Landesvorsitzende)

Berlin ist aus dem Trott geraten, endlich. Denn elf lange Jahre wurde vor allem die Prophezeiung des erinnerungswürdigen Harry Ristock verwaltet. »Die große Koalition wird sich wie Mehltau über die Stadt legen.« So warnte der Ex-Senator 1990.

Nur drei mal sorgte Berlin in den 90er Jahren für überregionale Schlagzeilen: 1991, als der Umzug vom Rhein an die Spree beschlossen ward. 1993, als der Berliner Senat eine ruinöse Olympia-Bewerbung vergeigte. 1996, als er die Hochglanz-Fusion von Berlin und Brandenburg in den Märkischen Sand setzte.

Etwas zu wenig Werbendes für eine Hauptstadt, die eigentlich ausstrahlen und anziehen sollte. Und etwas zu viel Murks für eine »Werkstatt der Einheit«, wie die Ost-West-Stadt zu recht, weil anspruchsvoll, bezeichnet wird.

Nun gibt es wieder »Berliner« Eil-Meldungen. Es begann mit einem Säuseln, da auch die CDU des Regierenden Bürgermeisters mit einem Spenden-Skandal aufwartete. Dann folgte die Offenbarung, Berlin ist bettelarm und, weil politisch verfilzt, obendrein kreditunwürdig. Schließlich kam es zum Polter-Crash zwischen SPD und CDU, zum Aus des Diepgen-Senats.

Drei von vier Berlinerinnen und Berlinern wollen vorgezogene Wahlen, sagen Umfragen. Und die Volksinitiative »Neuwahlen jetzt« erbrachte binnen Wochenfrist mehr als die nötigen 50.000 Unterschriften. Berlin politisiert sich und es wird hochgerüstet.

Der »Kampf um Berlin« ist eröffnet, lese ich. Die Bajuwaren rekrutieren CSU-Bataillone für das letzte Gefecht ums Rote Rathaus. Hessens CDU droht mit Verfassungsbruch: sollten die Berliner nicht wie vorgeschrieben frei wählen, dann sei Schluss mit lustig und dem Länderfinanzausgleich. Auch Helmut Kohl, »Kanzler der Einheit«, verlässt sein Affären-Exil. Sozi-Verrat, poltert er, und: Kommunisten sind rot-lackierte Faschisten.

Stehen ›die Russen‹ vorm Stadt-Tor, bolschewistisch verschult und mit Messern zwischen den Zähnen? Nein, es ist schlimmer. Die PDS ist nicht außen vor, sondern mittenmang. Und die SPD erwägt, sie als potentiellen Landes-Partner anzuerkennen, notgedrungen und kalkuliert. Das trifft die CDU ins Mark, denn eine hörige SPD war ihre Macht-Police.

Für wahr ein Tabu-Bruch, ein bedrohlicher – für den hauptstädtischen Trott, für den West-Berliner Klüngel, für das gepflegte Feindbild von »Report München«. Aber das nun angetastete Unberührbare ist eine Chance, eine Hauptstadt-würdige.

Allerdings eine sehr sensible. Sie verträgt keine Neuauflage des Kalten Krieges, von keiner Seite. Ansonsten würden Berlin und die angestrebte Einheit insgesamt bös verlieren.