PORTRÄT
Wir in Reinickendorf • 02/2003

 ...wie das Notwendige benannt und bezahlbar wird

Eine PDS-Verordnete im Konflikt: Verhasste Registrierkasse im Kopf

Spass macht, die mit so einem Mandat verbunden ist, nach den 38,5 Wochenstunden als Kita-Erzieherin - die klingt doch ein wenig trotzig: „Also, ich bin bei uns die Einzelverordnete für die PDS. Ich brauche mich nicht in eine Fraktionsdisziplin einzufügen. Ich bin nicht verpflichtet zu berücksichtigen, ob meine Partei im übergeordneten Abgeordnetenhaus mal gerade in der Regierung oder in der Opposition ist. Ich entscheide mich nach meinem Sachverstand.“

Klingt fast so, als ob sie Angst hätte, dass ihre Partei bei den nächsten Wahlen in Fraktionsstärke in die BVV einziehen könnte? „Aber gar nicht. Das wären bei uns Leute, mit denen ich mich ohnehin berate und die ähnlich denken wie ich. Die mir jetzt schon die Arbeit erleichtern, zu Ausschuss-Sitzungen gehen, für die ich keine Zeit habe oder wo es anderes Wissen braucht.“

Ein Horror für sie: der Haushaltsausschuss. „Ich hasse es, wenn bei jeder Entscheidung im Kopf eine Registrierkasse klingelt“. Aber sie geht hin. „Kinder, Jugend, Schule, das hat immer auch mit Geld zu tun.“

Renate ist in drei Ausschüssen dabei, besucht noch, ohne Stimmrecht, einen vierten und die Sitzungen des Ältestenrates der BVV regelmäßlig. Der Arbeitskreis Kommunalpolitik unterstützt und berät sie zu anstehenden Abstimmungen, eigenen Anträgen oder Stellungnahmen. Dann besteht sie aber auf Detailwissen; sie stellt sich nicht hin, sagt was und kann dann auf Zwischenfragen oder Einwürfe nicht antworten. Sie hat schnell gelernt, dass so etwas nicht gut geht.

Also, sie ist schon recht froh, dass sie als Einzelverordnete keine Einzelne ist. (Und nebenbei: sie ist auch froh darüber, dass die Verfahrenskultur in der Reinickendorfer BVV und ihren Ausschüssen eine solche Arbeitsweise erleichtert.)

Trotzdem macht der Verweis auf ihre Unabhängigkeit Sinn. Der Hintergrund besteht darin, dass Renate Herranen mal gesteckt wurde, sie haue ihre eigene Partei in die Pfanne; gemeint ist die Fraktion im Abgeordnetenhaus. Sie hatte auf einer GEW-Kundgebung als Erzieherin Forderungen an den Senat ausgesprochen - wohlwissend, dass ihre Partei, die PDS, seit kurzem mitregiert und u. a. Stellenkürzungen mit verantwortet.

Bis dahin hatten Renate Herranens Meinung, die ihrer Partei und die ihrer Gewerkschaft in diesem Punkt überein gestimmt. Ihre Frage: „Kann der Eintritt in eine Regierung die Sicht auf die Dinge derart verkehren?“

Renate Herranens Konflikt ist der gleiche, in dem sich viele Mitglieder und Sympathisierende der PDS zur Zeit befinden. Er gipfelt in der Feststellung: Die PDS benennt zu den Wahlen zwar ganz ordentliche Ziele, aber in der Regierung macht sie das gleiche wie die anderen Parteien auch. Das stimmt zwar nicht ganz, aber dass es ganz und gar nicht stimmt, kann man schwerlich behaupten.

Ein „Kommunikationsproblem“, wie Politiker zu sagen pflegen. Aber kann das so weit gehen, dass der Koalitionsvertrag zur Parteifahne wird? Sie weiss, es ist notwendig, dass bei jeder Entscheidung auch die Registrierkasse im Kopf klingelt, aber sie hasst das. Sie mag nicht zusehen, dass im deutschen Bildungswesen schon früh diejenigen ausgesiebt werden, die aus ungünstigen sozialen Verhältnissen kommen. Weiss man, was für Talente und Fähigkeiten da verloren gehen? Sie setzt sich ein für Chancengleichheit.

Es regt sie auf, wenn sie auf der eigenen Arbeitsstelle sieht, im Personalrat und bei der Gewerkschaft hört, dass zu viele Kinder im sozialen Verhalten, in der Sprachfertigkeit oder sogar im Ernährungszustand Defizite aufweisen und ihnen nicht ausreichend geholfen werden kann.

Was tun, Renate? „Ich stehe zu dem, für das ich bisher gestanden habe“, sagt sie. Hoffnung setzt sie auf die Projektgruppen, die der Berliner Landesvorstand der PDS zur Zeit bildet, wo sie selbst in einer Untergruppe mitarbeitet und sich um Mitarbeit von Elternvertretungen und Gewerkschaftsmitgliedern bemüht. Eine grosse Chance, eigenen Sachverstand zu bündeln, zusätzlichen in die Partei zu holen - und ausserdem im Denkprozess Verbündete zu gewinnen, Notwendiges zu benennen und gemeinsam zuüberlegen, wie es auf gerechte Art bezahlbar gemacht wird.

Hans Schuster