Bürgerwillen ignoriert
Wir in Reinickendorf • 10/2004
Ausbau Schulzendorfer Straße in der BVV
Vor der Abstimmung kam der Protest, mit dem Protest der Eklat
Als hätte der Spruch „Viel Feind, viel Ehr“ nie an Aktualität verloren greifen offensichtlich Reinickendorfer CDU–Stadträte nach jeder Gelegenheit, diesem Motto voll und ganz gerecht zu werden.
Zwischen 15 und 20 Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) Schulzendorfer Straße hatten sich am 15, September ab ca. 16.30 Uhr vor dem Reinickendorfer BVV–Saal versammelt, um dem Protest der Heiligenseer Anwohner gegen den geplanten Ausbau eines Teiles der Schulzendorfer Straße gegenüber den Bezirksverordneten Nachdruck zu verleihen. Einerseits dienten dazu Plakate, die in vielfältiger Form, aber mit eindeutigen Aussagen, auch an den Gartenzäunen in der Schulzendorfer Straße hängen. Zum Anderen wurden anfangs offensichtlich auch Flugblätter verteilt. Dies ist in den Räumen des Bezirksamtes aber untersagt und wurde nach entsprechendem Hinweis durch die anwesende „Ordnungshüterin“ auch eingestellt. Wer allerdings nachfragte, bekam ein Flugblatt ausgehändigt.
Sozialstadtrat Balzer (CDU), in seiner Funktion als stellvertretender Bezirksbürgermeister und somit Hausherr, bestand trotzdem auf seinem Recht, dass ein weibliches Mitglied der BI, die die Flugblätter verteilt hatte, Hausverbot zu erteilen wäre. Als diese sich weigerte, das Haus zu verlassen, wurde die Polizei gerufen, die, immerhin fünf Mann und Frau hoch, dann auch erschien.
Nur ein wenig Fingerspitzengefühl seitens des mit Sicherheit auch von einem Teil der Protestierenden gewählten Stadtrates hätte ausgereicht, die Situation zu entschärfen und nicht eskalieren zu lassen. Die Bezirksverordnetenversammlung stand kurz vor ihrem Beginn und wohl alle BI-Mitglieder wollten eigentlich verfolgen, wie das Abstimmungsverhalten der Verordneten hinsichtlich eines von ihnen inhaltlich unterstützten Antrages ausfallen würde. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, nicht auf seinem Recht zu pochen und statt dessen die aufgeregte Wählerschaft im Besucherraum Platz nehmen zu lassen. Dies genau aber wurde der besagten Dame, und nur ihr, seitens der Polizei verwehrt – obwohl sich einige BI-Mitglieder solidarisch ebenfalls zu ihrem „Vergehen“ bekannten. Als frau sich auch noch weigerte ihre Personalien anzugeben – der CDU-Stadtrat hatte wohl inzwischen Anzeige erstattet (?)– wurde sie nach einigem verbalen Hin und Her seitens der eifrigen Polizei zur Feststellung derselben fortgetragen!!!
Da fragte sich dann der geneigte Zuschauer und –hörer, was wohl im Kopf eines Volksvertreters vorgehen mag, der in einer solchen Art und Weise mit verständlicher Aufgeregtheit des Volkes, schließlich geht es ja doch um relativ viel Geld und Wohnqualität in dieser Sache, in dieser Weise jegliche gelassene und angemessene Souveränität vermissen lässt, die man/frau doch eigentlich in einer CDU-Hochburg wie Reinickendorf erwarten würde. Da diese Angelegenheit sicherlich ein juristisches Nach- oder vielleicht Vor-spiel haben dürfte, werden wir eventuell dieses Geheimnis lüften.
Ein Slogan aus der Schulzendorfer fällt dazu ein: „Wählt nie wieder CDU – Danke, Dr. Wegner!“ Na ja, Namen sind ja ergänz- bzw. austauschbar. Bevor ich es vergesse, Baustadtrat Dr. Wegner war übrigens im Haus - jedenfalls hat er ab 17.00 Uhr an der Sitzung der BVV teilgenommen. Nein, Stellung hat er nicht bezogen – nicht während und nicht vor der BVV-Sitzung. Na warum auch, er wird ja wissen, was und warum er etwas will.
Laut wurde es aber dann auch noch - allerdings erst im Besucherraum der BVV. Nach der Abstimmung des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen zum geplanten Ausbau der Schulzendorfer, den nicht nur die BI, sondern auch die Einzelverordnete Herranen und die Reinickendorfer PDS inhaltlich unterstützt hatten, verließen die meisten Mitglieder BI, teils unter lauten Missfallensbekundungen, die Örtlichkeit der politischen Peinlichkeit. Die gewählten Volksvertreter kümmerte dies wenig, man/frau ging zur Tagesordnung über...nein, dies stimmt natürlich nur bedingt. Es stimmten doch die Einzelverordnete Renate Herranen, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und ein (jawoll: Einer) Bezirksverordneter der SPD- Fraktion (Hr. Weiß) im Sinne der Bürgerinitiative. (Was und wie abgestimmt wurde wird weiter unten dokumentiert.) Gleichwohl, gereicht hat das natürlich angesichts der CDU, SPD und FDP-Mehrheiten in der BVV nicht. Doch wer dort in welchem Sinne abgestimmt hat, darf nicht vergessen werden.
Wohl der und dem, die/der dies alles mit einem ruhigen Gewissen tut und vor sich selbst und vor der nächsten Wahl Rechenschaft ablegen kann. Zu hoffen bleibt, dass das menschliche Gedächtnis ausnahmsweise mal nicht als Verdrängungskünstler fungiert, sondern spätestens zur nächsten Wahl die gemachten Erfahrungen in unserem demokratischen Gemeinwesen entsprechend quittiert. Denn wenn erklärter Bürger/innenwille nicht mehr als Maß für politisches Handeln gilt, steht es schlecht um unseren Bezirk und darüber hinaus. Dies gilt natürlich auch und insbesondere, wenn es „nur“ um eine interessensorientierte Minderheit geht - die allerdings in keinem Widerspruch zum Allgemeinen Interesse steht.
Horst Jusch