Armut trägt ein weibliches Gesicht

Wir in Reinickendorf • 03/2006

EU-Gleichstellungsbericht: Frauen Deutschlands besonders benachteiligt

Frau K., 52, geschieden, Mutter zweier Kinder, ist eine von den Frauen, die keine Arbeit finden. „Zu alt“ oder „zu unqualifiziert“ sagen die Personalchefs. Vielen Frauen ergeht es so, denen Kinder und deren Erziehung zeitweilig wichtiger war als die Mehrung des Bruttosozialprodukts. Die Armut ist weiblich - dieser Satz der deutschen Frauenbewegung gilt weiter. Vor allem gilt er mehr als lange zuvor.

Nach dem gerade veröffentlichten Gleichstellungsbericht der Brüsseler EU-Kommission erhielten Männer 2004 23 Prozent mehr Lohn pro Arbeitsstunde als Frauen. Fünf Jahre vorher hatte die Differenz noch 19 Prozent betragen.

Im EU-Durchschnitt beträgt sie nur 15 Prozent. Ursachen seien die deutsche Nichteinhaltung der EU-Rechtsvorschriften zur Gleichheit des Arbeitsentgeltes, strukturelle Ungleichheiten und ein für Frauen beschränkter Zugang zur Aus- und Weiterbildung, sagt der EU-Bericht.

Männer werden vom Arbeitsamt eher als Frauen für weitere Berufsqualifizierung gefördert. Frauen werden eher in sogenannte Minijobs vermittelt. Frauen besetzen 70 Prozent dieser Jobs mit der gewollten Ausweitung des Niedriglohnsektors sowie dem gewollten Druck auf noch bestehende Vollarbeitsplätze und deren Löhne. Aber Minijobs bilden keine weiteren Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Altersarmut und finanzielle Abhängigkeit von den Männern sind vorprogrammiert. Ist das gewollt? Und dann die unsägliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaften. Zwei Drittel derjenigen, die nach Einführung des ALG II überhaupt keine Leistungen mehr erhalten, sind Frauen.

Das Hartz IV-Gesetz gibt vor, alle Menschen gleich zu behandeln, auch die, die in besonderen Lebenssituationen leben. Das gerät zur bösen Farce, wenn man/frau sich das Folgende ansieht:

Alleinerziehende, noch immer vorwiegend Frauen, die Kinder zu versorgen haben und auf deren Betreuung angewiesen sind, sind im Vergleich weder zeitlich noch räumlich flexibel. Diese Tatsache führt oft zu Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiographie. Aber beim Arbeitslosengeld II wird das Kindergeld angerechnet. Arme Frauen haben noch ärmere Kinder.

Jugendliche müssen ab dem 15. Lebensjahr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wenn sie keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Sonst wird ihnen das Arbeitslosengeld II gekürzt. Sie haben kein Recht auf einen selbsterwählten Beruf oder eine Ausbildung. Junge Frauen werden vermehrt in die traditionelle Rolle der Ehefrau und Mutter zurückgedrängt.

Teilzeitarbeit trifft für 45 Prozent aller erwerbstätigen Frauen zu. Das ist höher als in jedem anderen Land der EU außer den Niederlanden. Die Autoren des EU-Berichtes meinen, das hänge mit größeren Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zusammen.

Migrantinnen aus Nicht-EU-Staaten dürfen nur dann vermittelt werden, wenn sich für die Arbeitsstelle keine Deutsche findet. Langzeitarbeitslosigkeit ist somit vorprogrammiert! Außerdem verschlechtert sich die Situation nach dem Ausländerrecht: Familienzusammenführung, Aufenthaltsverlängerung und Aufenthaltsverfestigung sowie die Einbürgerung von Ausländern hängt generell davon ab, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Bisher war - wenn auch eingeschränkt - eine Aufenthaltsverfestigung auch bei Bezug von Arbeitslosenhilfe möglich. Dies ist gestrichen worden.

Ist das gewollt, Frau Kanzlerin Merkel?

Linda