Geschichte einer Integration

Wir in Reinickendorf • 05/2006

Aber: Wieso stellt sich die Frage nach der Deutsch-Ochserei heute ganz anders als seinerzeit für Hamza Dogan?

Als er 1979 von seinen Eltern in die Bundesrepublik nachgeholt wurde, ein 17-jähriger Bursche, musste er erst einmal neun Monate zur Volkshochschule. Er sollte deutsch lernen und in ein paar industrielleTechniken hineinschnuppern.

Die Teilnahme an diesem Kurs war Voraussetzung für die Arbeitserlaubnis. Hamza Dogan fand das ganz richtig, und danach hatte er ja auch gleich Arbeit. Als er die Werkhalle betrat, die Waschmaschinenmontage bei Siemens-Bosch, hätte er sich allerdings fragen können: Wofür die ganze Ochserei mit der deutschen Sprache? Er war umgeben von türkischen Landsleuten, und wenn der Meister was zu sagen hatte, brachte er einen Dolmetscher mit.

Hamza Dogan hat diese Frage damals nicht gestellt. Seine Überlegungen gingen eher so: Mein Leben ist da, wo ich arbeiten kann, wo ich eine Familie gründen und Kinder großziehen kann. Also in Deutschland, und ich werde lernen zu sprechen, wie man hier spricht, und mich an das zu halten, woran man sich hier hält.

Die Frage nach dem Lernen und nach der deutschen Sprache ist wieder aktuell. Nicht für Hamza Dogan, aber für viele Immigrantenfamilien und ihre Kinder (und für viele deutsche auch). Sie stellt sich jetzt aber um ein Entscheidendes anders: Wozu die Ochserei, wenn du danach weder Berufsausbildung noch Arbeit bekommst? Wenn das einzige, was dich auffängt, das Netz von Verwandten und Bekannten ist, die Pflege der Landsmannschaft oder der Glaubensgemeinschaft? Integration wird eingefordert, doch wie soll sie laufen?

Bei Hamza Dogans Familie ist das wesentlich über die Arbeit, das Lernen und die Nachbarschaft mit Eingeborenen geschehen. Er hat ein Mädchen lieben gelernt und geheiratet, eine Türkin, und sie haben drei Kinder bekommen. Fragen des tradierten Verhältnisses zwischen Mann und Frau klären sich von selbst, wenn die Frau im Interesse des Familienaufkommens arbeiten geht und eigenes Geld nach Hause bringt. Und wenn beide darauf achten, dass die Kinder in der Schule gut lernen und höflich und ordentlich sind. „Natürlich sind wir zu den Elternabenden gegangen, und natürlich haben wir die Hausaufgaben kontrolliert, auch wenn wir selbst nicht alles verstanden.“

Der Älteste hat ein sehr gutes Abitur gemacht und studiert Jura, der zweite steht vor dem Abitur, dem der Vater hoffnungsvoll-skeptisch entgegensieht. Die Jüngste ist in der 11. Klasse. Wen die Kinder mal heiraten sollen? „Weiß ich, wen sie sich ausgucken und wann das ist? Ich hoffe, sie werden mich um meine Meinung fragen. Entscheiden müssen sie selbst, es ist ihr Leben.“

Hamza Dogan ist nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist deutscher Staatsbürger geworden. Mit der Türkei hält er es wie viele seiner türkischen Bekannten: Man fährt dorthin im Urlaub und zum Verwandtenbesuch, und dann kommt man „nach Hause“ zurück.

Aber zu Hause in Deutschland läuft etwas schief. Das hat auch Hamza Dogan zu spüren gekommen. 1994 machte seine Fabrik dicht, er war das erste Mal arbeitslos und dann noch öfter. Jetzt betreibt er eine kleine Frischebäckerei mit Frühstücks- und Kaffeeangebot. Seine Frau hatte ihm das vorgeschlagen, weil sie derzeit selber in einem derartigen Laden half und meinte, wenn sie das gelernt habe, könne er das auch. Vermutlich hat sie gesagt: erst recht.

Hamza Dogan hat sein Problem erstmal geregelt. Aber er fragt sich, und das ist eine sehr deutsche Frage: Unverändert etwa fünf Millionen Arbeitslose im Lande - das ist noch viel mehr Ausgegrenztheit und vielleicht auch Wut aufeinander. Wer sagt, wie wir das ändern? Ist das nicht die Hauptaufgabe der Politik?

Hans Schuster

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