Frischer Wind im Roten Laden

Wir in Reinickendorf • 06/2006

Eine linke Jugendgruppe findet sich zusammen

Auf der Suche nach einem Treffpunkt zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen sind sie fündig geworden. Im Roten Laden in der Tegeler Schloßstraße wurden sie mit offenen Armen empfangen. Am Anfang waren sie drei junge Leute um die zwanzig, inzwischen sind sie bereits sechs und weitere haben ihr Interesse angemeldet.

Einer von ihnen ist Yusuf Dogan, 24 Jahre alt, Jurastudent im achten Semester und kurz vor dem ersten Staatsexamen. Im Oktober 2005 war er Mitglied der Linkspartei.PDS geworden, ein Viertel Jahr später war er bereits im Reinickendorfer Vorstand und dort verantwortlich für Jugend- und Migrationsarbeit. Was bewog den jungen Mann, der bis dahin unbeschwert, ohne großes politisches Interesse gelebt hatte, zu diesem Schritt?

Er hebt das emotionale Erlebnis des Bekanntwerdens mit Literatur über Ché Guevara hervor. Die Reise des jungen Ché durch Südamerika, dessen Begegnungen mit grenzenloser Armut in den Elendsvierteln der großen Städte, mit ausgebeuteten Landarbeitern, entrechteten Eingeborenen.

Das machte Yusuf, den klugen, sensiblen jungen Mann nachdenklich. Soziale Härten gibt es nicht nur in Südamerika. Yusuf, in Berlin geborener Türke, verbrachte die ersten vier Lebensjahre in der kleinen Stadt Zile in der zentralanatolischen Hochebene bei den mütterlichen Verwandten. Den Vater sah er nur während des Urlaubs. Seine Bezugsperson war der Großvater. Gemeinsam mit ihm hütete er die Ziegen und Schafe, versorgte das Federvieh und sammelte mit Genuß die warmen Eier aus den Nestern. Er verlebte eine behütete, sorgenfreie Kindheit, alle Onkel und Tanten der großen Familie hatten den kleinen, aufgeweckten Jungen gern. Dann aber holte der Vater den Sohn nach Berlin. Dort war alles liebevoll für seinen Empfang vorbereitet, aber weder Spielsachen noch Süßigkeiten konnten ihn trösten. Noch heute erinnert er sich lebhaft an den ersten Tag im Kindergarten. Er saß den ganzen Tag weinend auf dem Schoß der Kindergärtnerin. Aber irgendwann war das Eis gebrochen, er spürte das Interesse und die Freundlichkeit seiner neuen Kameraden. Und spielend lernte er deutsch.

Gern denkt er auch an seine Schulzeit, spricht mit Hochachtung von seinen Lehrern, besonders dankbar ist er seiner Grundschullehrerin, der einfühlsamen und verständnisvollen Frau Silbermann. Ihr und all den anderen, die ihn geprägt haben, gelten sein Dank und sein Respekt. Seine Eltern haben alles getan, das Selbstbewußtsein ihrer drei Kinder zu stärken. Sie haben keine Elternversammlung versäumt und gelegentlich hat die Mutter, eine exzellente Köchin, für alle eine türkische Pizza bereitet. Immer waren sie um gute Kontakte und ein freundschaftliches Miteinander zu den deutschen Nachbarn bemüht. So also kann man auch miteinander leben. Yusuf hat inzwischen einen deutschen Pass, er lebt gern hier, seine türkischen Wurzeln aber kann und will er nicht leugnen.

Im Roten Laden tut sich inzwischen allerhand: Verabredung von politischer Kleinarbeit, ein Filmabend mit der Reise des jungen Chè, in Vorbereitung sind Diskussionen zum Kommunistischen Manifest. Denn ohne theoretische Bildung ist die Welt nicht zu begreifen, zu verändern schon gar nicht.

E. Schroth