Am Rande
Wir in Reinickendorf • 10/2006
Das achte Gebot
Zugegeben, Martin Luther hatte keine Ahnung von Wahlkampf, und die moderne Demokratie war seinerzeit auch noch nicht erfunden. Trotzdem darf man bezweifeln, dass er, wäre er dieser Segnungen teilhaftig gewesen, seinen Kleinen Katechismus anderes formuliert hätte, auch nicht das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Natürlich hat Herr Steffel, bombensicher gewählter Wahlkreiskandidat der christlichen CDU im feinen und villenreichen Hermsdorf-Frohnau, nicht im Traum daran gedacht, gegen ein christliches Gebot zu verstoßen. Aber er wird es sich ja wohl aussuchen dürfen, wer sein Nächster ist.
Außerdem hatte er wirklich triftige Gründe, im Wahlkampf davor zu warnen, dass böse Mächte wie Rot, Rot, Grün, Gelb und Grau sich verschworen hätten, Reinickendorf endgültig zu ruinieren und zu diesem Zweck sogar vor einem Bündnis mit den Braunen nicht zurückschreckten.
Man vermerke, wie unglaubwürdig bedenkenlos alle diese Parteien zuvor zu einem Beschluss der BVV „Gemeinsam gegen rechts“ beigetragen oder ihm zugestimmt hatten.
Überdies sollte man ruhig solche alten Volksweisheiten bedenken wie „Was ich selber denk und tu, trau ich auch allen andern zu“. Demzufolge muss man den anderen alles mögliche zutrauen, da die CDU 1992 eine Vereinbarung mit den REPs ausgehandelt hatte, gemeinsam Frau Wanjura zur Bürgermeisterin zu wählen. (Die Rede ist von den “Spandauer Gesprächen“ - allerdings soll damals tatsächlich ein einzelner CDU-Verordneter den Abstimmungsgehorsam verweigert haben.)
Was soll man da von den anderen villenlosen Gesellen erwarten! Man könnte denen höchstens zu Gute halten, dass ihre Wählerschaft ihnen derartiges Gebahren ganz unfein übel nehmen würde.
Jochen Eser