„Haben Sie vielen Dank für Ihre Frage...“

Wir in Reinickendorf • 10/2006

Kandidatenwatch: Dialog im Internet

Die 41 DirektkandidatInnen in den sechs Reinickendorfer Wahlkreisen hatten auf dem Weg ins Berliner Abgeordnetenhaus mehr zu tun als in früheren Wahlkämpfen. Ein kluges Gesicht für die Wahlplakate zu machen, in Wahlforen schlagfertiger als der Mitbewerber seine „Wahlbausteine“ zu verkaufen, an Infoständen Vorbeigehenden mit freundlichem Lächeln Luftballons, Rosen, Kugelschreiber, Kondome, Würste, Feuerzeuge, Bonbons usw. und natürlich viel Papier (Zeitungen, Flyer, Wahlprogramme) in die Hand und die Einkaufsbeutel zu befördern, um Stimmen für sich und seine Partei zu werben und bis zum Wahlabend 18 Uhr optimistisch dreinzuschauen, ja, auch Erbsensuppe zu verteilen - das alles reichte 2006 nicht mehr.

Wie zuvor bei den Bundestagsbzw. Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt konnten Wählerinnen und Wähler den Bewerbern um die Mandate online Fragen stellen, die online beantwortet wurden - oder auch nicht. Öffentlich einsehbar war, wie ernst ein Bewerber die Anfragen nahm, ob er sie abwimmelte oder sachgerecht beantwortete (oder auch beantworten ließ). So wurden die Kandidaten gewissermaßen „gläsern“ und der Wahlkampf politischer und wohl auch ein bisschen interessanter.

„Unsere“ KandidatInnen bewältigten diese zusätzliche Aufgabe insgesamt gut. Ihnen wurden 271 Fragen gestellt - zumeist sachlich-freundliche, nicht wenige gewünschte (selbst organisierte?), aber auch viele kritische und unbequeme, gar herausfordernde. Persönliche Beleidigungen wurden nicht zugelassen. Die Bewerber bedankten sich höflich für die Möglichkeit, ihre Positionen darzulegen, und taten es meistens ausführlich. Am fleißigsten waren Noch-Baustadtrat Dr. Wegner (mit 45 Fragen), FDP-Bildungsfachfrau Mieke Senftleben (29), Walter Momper (22) und Frank Steffel (17).

Es ging um Hundekot am Schäfersee und das Taxigewerbe, um die Bauarbeiten am Flughafentunnel, das Residenzstraßenfest und den Gewerbeflächenleerstand in der Aroser Allee, um Mobbing am Arbeitsplatz und Ein-Euro-Jobs, um rechtsextremistische Gewalt im Bezirk und die Parkplatzsituation in Tegel, um Armut in Indien und hierzulande und die Zukunft der Gartenfreunde auf der NEB-Insel, um die geplante Schließung des Flughafens oder nicht, die Situation an Reinickendorfer Schulen und die Angst vor der „Einheitsschule“, um Berliner Schulden, um Gummibärchen, neue Klimaveränderungen und die Kennzeichnungspflicht für Polizisten, um Mompers roten Schal und Steffels „Pöbeleien“ (Zitat eines Mitbewerbers) in seinem Wahlkampfflyer und noch vieles andere mehr. Es ging um rot-rote „Sünden“ (tatsächliche und unterstellte) und dass die CDU (zu ersetzen durch FDP, B90/GRÜNE) natürlich alles besser machen würde. Wenn sie denn am 17. September gewählt worden wäre...

Vorschlag: Könnte Berlin nicht wie in Hamburg dem Kandidatenwatch ein Abgeordnetenwatch folgen lassen?!

Friedrich Wilhelm