Keinen Fußbreit den Nazis!
Wir in Reinickendorf • 11/2006
Als 21jähriger Reinickendorfer empfand ich die Nazi-Demo am 21. Oktober und zwei Wochen später den Bundesparteitag der NPD in diesem Bezirk als sehr beunruhigend, besonders weil es zu keinem ausreichend großen Protest kam. Keinen Fußbreit den Nazis!
Für die NPD gilt eine Veranstaltung schon als erfolgreich, wenn die Gegendemonstranten weniger als doppelt so viel sind wie sie selbst. Bei beiden Veranstaltungen in Reinickendorf waren wir nicht einmal die Hälfte. Zudem wurden die Verfassungsfeinde durch ein Großaufgebot der Polizei geschützt. Die Nazis genossen Freiräume, die ihnen die Polizei schaffte, von denen wir nur hätten träumen können.
Ich frage mich seitdem: Wie kann es möglich sein, dass sich die Nazis hier nach und nach etablieren, und die meisten Reinickendorfer scheint es nicht zu kümmern oder sie schauen einfach weg?
Dieses Problem ist kein kleines und geht uns alle etwas an; denn deutsche Geschichte darf sich nicht wiederholen. Dafür müssen wir kämpfen.
J.M.
Fragen an die Politik
Nazis in Tegel, Nazis im Märkischen Viertel – die NPD präsentierte sich kürzlich auch in Reinickendorf. Neue und alte Fragen tauchen auf: Reichen Erklärungen, mündliche und schriftliche Bekenntnisse zur Demokratie (von BVV und Bezirksamt) wirklich aus, wenn rechtsextremes, rassistisches, fremdenfeindliches und antisemitisches Gedankengut laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung inzwischen bei bis zu einem Drittel der Bevölkerung anzutreffen ist.
Ist es akzeptabel, wenn das bezirkliche „Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Reinickendorf“ seit Jahren eigentlich nur noch dem Papier existiert? Müssen BVV und Bezirksamt, muss unsere Bezirksbürgermeisterin nicht dafür Sorge tragen, dass dieses überparteiliche, demokratische Bündnis endlich wieder dem Rechnung trägt, wofür das richtige Motto steht?
Warum versagt unser Erziehungs- und Bildungssystem bei so vielen Menschen, wenn es um undemokratische Inhalte geht? Wird Demokratie vorgelebt, von Kindern, Schülern, Heranwachsenden tatsächlich erlebt? Ein rechtzeitig verhinderter Amoklauf eines Reinickendorfer Schülers lässt anderes vermuten. Demokratie lebt von einem hohen Bildungsstand aller Bürger. Auch dies sollte ein Thema für die Bürgermeisterin sein.
Wird unser Gemeinwesen den in Reinickendorf lebenden ausländischen Mitbürgern in kultureller und bildungspolitische Hinsicht wirklich gerecht? Genügt es, angesichts eines Anteils von ca. zehn Prozent im Bezirk „nur“ zu tolerieren? Warum gibt es (noch) keine/n Integrationsbeauftragte/n in unserem Bezirk?
„Rechtsextremismus ist ein Problem in der Mitte der Gesellschaft, keines des Randes oder bestimmter Altersgruppen.“ Aber: Menschen „mit hohem Bildungsabschluss (stimmen) den rechtsextremen Aussagen in der Regel seltener zu... Rechtsextreme fühlen sich weniger akzeptiert...schätzen (...) ihre eigene wirtschaftliche Situation subjektiv als schlechter ein...(haben) das Gefühl politischer Einflusslosigkeit“. Defizite im elterliche Erziehungsverhalten und Ausländerfeindlichkeit als „Einstiegsdroge“ runden das negative Bild ab, so die oben genannte Stiftung.
Aktives, zielgerichtetes Gegensteuern ist dringend gefragt. Frau Wanjura, es besteht Handlungsbedarf – das Problem ist bekannt und Reinickendorf ist keine Insel.
Jürgen Schimrock