Wer war „Mannhart“?
Wir in Reinickendorf • 10/2009

Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand bei Borsig
Im Jahre 1944 fanden mehrere politische Prozesse gegen 18 Personen aus dem Umfeld von Rheinmetall-Borsig statt, darunter einige Ausländer; mindestens acht von ihnen verloren ihr Leben. Der Hauptprozess wurde vor dem Freislerschen Blutgerichtshof am 9. Juni 1944 gegen die Bauarbeiter Otto Dressler aus Heiligensee und Friedrich Lüben aus Borsigwalde, den Schlosser Albert Brust aus Tegelort, gegen Rudolf Strauch aus Prenzlauer Berg und den Konditor Otto Haase aus Tegelort eröffnet. Dressler, Brust, Lüben und Haase wurden zum Tode verurteilt und am 25. September im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.
Rudolf Strauch wurde zu Zuchthaus verurteilt und dort umgebracht.
Die Anklage: Sie hatten „Hetzschriften“ verteilt, nämlich das von den zuständigen Stellen so genannte „Mannhart-Material“, das zu „offener Auflehnung gegen die nationalsozialistische Führung“ aufrief. Was natürlich Unfug war; kein Mannhart-Flugblatt riet, den Nazis ins Messer zu laufen. Aber dass die Naziherrschaft und ihr Krieg verbrecherisch waren und ein Ende haben mussten, das sagten sie. Und sie benannten die möglichen Formen des Widerstands.
Als die Prozesse beendet waren, hatten die Nazis noch immer keine Ahnung, wer Mannhart war. Es erschienen immer noch Flugblätter, auch bei Borsig. Eines der letzten, als die Sowjetarmee kurz vor Berlin stand, gab Hinweise, Lebensmittellager, Betriebe und lebenswichtige Infrastruktur vor Sprengung und Plünderung zu bewahren, sinnlosen Widerstand zu erschweren und desertierte Soldaten zu verstecken. Gezeichnet war es wie üblich: VKPD. i.A. Mannhart.
„Mannhart“ war ein Deckname, und in einem besonderen Maße war Dr. Max Klesse aus Heiligensee Mannhart. Er hatte mit sozialdemokratischen Freunden die Widerstandsgruppe ins Leben gerufen, die über aktive Arbeiterfunktionäre Zugang auch zu Rheinmetall-Borsig und AEG Hennigsdorf fand. Dr. Klesse hatte seit 1921 an der Berliner Gewerkschaftsschule unterrichtet und auch an den SPD-nahen „Sozialistischen Monatsheften“ mitgearbeitet. 1926 bis zur Machtergreifung der Nazis war er stellvertretender Stadtarzt und Stadtoberschularzt von Reinickendorf. Aus dem Amt gejagt, richtete er sich gemeinsam mit seiner Frau Maria eine eigene Arztpraxis ein.
Interesannt das Kürzel VKPD. In dem oben angeführten Flugblatt wird es erläutert als „Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands, in der sich alle Sozialisten und Kommunisten vereinigt haben“. Diese Vereinigung traf gewiss auf die Gruppe Mannhart zu, und Dr. Klesse trat in der Folge dann auch der „Einheitspartei“ bei. Er verließ sie aber enttäuscht bald wieder. Vermutlich wegen seiner Erfahrung, dass Zusammenarbeit kein Dominanzgehabe verträgt.
H.S.