Schulen für Menschenbildung

Wir in Reinickendorf • 6/2010

Der Bildungsreformer: Wilhelm von Humboldt

Anlässlich des 200-jährigen Be­stehens der Berliner Universität begeht Reini­ckendorf das Hum­boldtjahr als Beitrag zum Wis­sen­schaftsjahr 2010.

Alexander und Wilhelm von Hum­boldt, beide im Schloss Tegel geboren und aufgewachsen, haben sich als herausragende Persönlichkeiten, Wissenschaftler, Humanisten und Weltbürger weltweit anerkannte Namen gemacht. Während Alexan­der eher als Universalgenie galt, war Wil­helm auf dem Gebiet der Bildungs- und Sprachwissenschaft tätig.

Nach Humboldt ist Bildung „die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen“. Es geht also um die Formung des Menschen im Hinblick auf sein individuelles Menschsein. Eine Persönlichkeit soll „sich bilden“, soll „gebildet sein“.

Entfaltung von Menschlichkeit

Wilhelm v. Humboldt trat für eine Schulbildung ein, die jedem Kind die Chance zur Entfaltung seiner Menschlichkeit bieten soll. „Bildung für alle“ sollte die Voraussetzung für die Erziehung von mündigen und freien Bürgern schaffen, die individuelle Denkfähigkeit anregen und fördern. Daher sollte es für ihn nach der Elementarschule für alle Kinder nur eine weiterführende Schul­­form geben, das Gymnasium.

Allgemeinbildung, verstanden als Anleitung zum Lernen lernen, als Verallgemeinerung von Erlerntem und dem Erkennen von Zusammenhängen, erzeugt den notwendigen Respekt vor der Natur und den Mitmenschen, fördert soziales Denken und Verhalten.

Ziel der Humboldt’schen Bildung war die Ausbildung aller Fähigkeiten jedes Menschen. Effizienz- und Ver­wer­­tungskriterien standen nicht im Vordergrund. Im Gegensatz zur Zielrichtung „moderner“ Schul- und Bildungspolitik, die zielgerichtet auf nachprüfbare Ergebnisse orientiert. Schulbildung heute wird dagegen fast nur noch als Ausbildung im Hinblick auf eine berufliche Perspektive verstanden.

Die Einflussnahme politischer, re­li­giöser oder wirtschaftlicher Interessen auf die wissenschaftlichen Inhalte wollte Humboldt verhindern.

Schulsystem selektiert noch immer

Learning by doing, lebenslanges und solidarisches Lernen – dafür standen und stehen die Humboldts mit ihrem Namen. Bildungsziele, die heute in der Schule immer weniger gefragt sind, nicht gefördert werden. Stattdessen selektiert das von CDU und FDP immer noch ideologisch verteidigte dreigliedrige Schulsystem in Deutschland nach sozialer Herkunft. Dringend notwendige Investitionen in die Bildung unserer Kinder werden wegen angeblich fehlender Mittel immer wieder zurückgestellt.

Lernt Reinickendorf von Humboldt?

Die Reinickendorfer Schulstadträtin Schult­ze-Berndt macht dem Bezirk in der Broschüre zum Humboldt­jahr die „ganzheitliche Bildung“ zu eigen. Gemeinsames Lernen aller Kinder in einer von der LINKEN geförderten Gemeinschaftsschule lehnt sie aber aus ideologischen Gründen ab. Dabei ist möglichst langes, sozial übergreifendes mit- und vonein­ander Lernen die Humboldt’sche Em­pfehlung. Mündige Bürger müssen „allgemein“ gebildet sein, wenn sich das demokratische Gemeinwesen weiter entwickeln soll.

Wissenschaft war für Wilhelm von Humboldt, aber auch für Ale­xan­der, die Suche nach der Wahrheit. Bildung bedeutet nicht Ausbildung, sondern Men­schen­bildung. Ein Maß­stab, der noch immer seinesgleichen sucht.

Jürgen Schimrock