Strafe schützt vor Torheit nicht

Wir in Reinickendorf • 01-02/2011

Plädoyer: Mehr Pädagogik statt härterer Strafen

vonKatrin Möller, stellvertretende Landesvorsitzende der LINKEN Berlin

Die Blumen und Kerzen für den ermordeten Jungen am Bahnhof Wit­tenau sind inzwischen weggeräumt. Was bleibt, sind Trauer und Ratlosigkeit. Was wiederkehrt, ist die politisch viel instrumentalisierte Diskussion um Jugendgewalt. Leider dauert sie nie lange genug, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Es braucht eine objektive Analyse und zwar ohne Gesinnungsfilter, denn Gewalt macht Angst und diese befördert Abgrenzung, Intoleranz und Aktionismus.

Abrufbares Gewaltpotenzial

All jene, die härtere Strafen fordern, können nur sehr diffuse Vorstellungen von der Lebenssituation junger Menschen haben. Wo manifeste soziale Missstände existentiell bestimmen, wo gesellschaftliche, familiäre und pädagogische Achtlosigkeit Langeweile, Unverbindlichkeit und Perspektivlosigkeit produziert, kann kein Verantwortungsbewusstsein gelernt werden, nicht für die eigene Person, nicht für andere, schon gar nicht für eine Gesellschaft, in der für junge Menschen ohne Abitur oder Realschulabschluss kaum Spielraum bleibt.

Unausgelastete, unter- oder überforderte Menschen auf Persön­lichkeitssuche, mit noch pubertärer Neugier am Ausreizen von Grenzen, deren Linien sie sich in Ermangelung akzeptabler Angebote selbst setzen, bergen immer ein leicht abrufbares Gewaltpotential in sich. Die Bewältigung des banalen Alltags enthält letztendlich alle Risiken zur Gewalt!

Härtere Strafen nicht zielführend

Fachlich ist längst erwiesen: Härtere Strafen führen nicht zu weniger Straftaten! Strafe verhindert im günstigen Fall nur die Wiederho­lungs­tat. Und was dann? Menschen funktionieren nicht linear-kausal, sie agieren und reagieren in Systemen. Deren Rah­menbedingungen gilt es nachhaltig zu verändern.

Es gilt, langfristig in die Entwicklung der Heranwachsenden zu investieren. Dafür setzt sich DIE LINKE schon lange ein.

Aber auch kurzfristig wirksame Maßnahmen, wie Finanzmittel für Jugendgericht und Jugendgerichtshilfe zum konsequenten, passge­nau­en, zeitnahen Strafvollzug, für ressour­cenorientierte, kontinuierliche Sozial-Arbeit und -Pädagogik, Kiez- und Stadtentwick­lung sind gefordert. Begleitetes in die Pflicht Nehmen von Eltern und Familien, zielorientierte Berufsvorbereitung, die Lust auf die eigene Leistung macht, viele Freizeitangebote und viele Menschen, die sich glaubhaft kümmern, würden sinnvolles politisches und pädagogisches Handeln ergänzen.

Das Begleiten der Persönlich­keitsreifung, mit allen Facetten die dahinter stehen, muss im aktiven Leben geschehen. Unser aller Aufmerksamkeit und frühes Eingreifen helfen, denn „Um ein Kind groß zu ziehen, braucht es ein ganzes Dorf“.